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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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darin, die verschiedensten Medizinen vorzubereiten. Diese Aufgabe war in Alexandria sicherlich einfacher als in den meisten anderen Städten. Ich benutzte natürlich auch die Kräuter in den Tempelgärten, aber diejenigen, die wir am häufigsten brauchten, konnten wir auf dem Markt kaufen, und zwar bereits fertig zubereitet in kleinen Kästchen oder in Flaschen. So mußten wir nicht auf die richtige Jahreszeit warten oder das Mark herauspulen oder den Saft herauskochen oder in die Berge hinaufwandern, um nach der richtigen Wurzel zu suchen. Wir mischten die Präparate einfach mit der erforderlichen Menge Wein, Essig oder Öl und versuchten, die richtige Dosis für den Patienten abzuschätzen. Ob es sich nun um Enzian oder Schierling handelte, um Myrrhe, Krokus oder Kassiaschote, um Opium, griechische Veilchen oder Zedernöl – in Alexandria konnte man jedes Heilkraut auf dem Kräutermarkt kaufen. Das meiste davon waren Arzneien, von denen Hippokrates nie gehört hatte. Wir wissen mehr über den Körper und die Natur als er. Aber es war genauso, wie Philon sagte, er verstand mehr, als er wußte. Ich fand seine Methoden und seine forschende Geisteshaltung weit eindrucksvoller als den engstirnigen Standpunkt mancher späterer Schriftsteller. Und die Frage:
    »Was hätte Hippokrates wohl getan?« war es stets wert, gestellt zu werden. Ich jedenfalls war allmählich dafür berüchtigt, sie dauernd zu stellen. Meine Kommilitonen am Tempel fingen jedesmal an, über mich zu lachen, wenn die Frage kam, aber schließlich hörten sie mit ihrem hämischen Grinsen auf und fragten mich immer öfter um meine Meinung.
    Anfang August sezierte Adamantios einen menschlichen Körper. Dies war ungewöhnlich, selbst in Alexandria, wo derartige Untersuchungen eine gewisse Tradition hatten. Die Behörden argwöhnten stets, ein derartiges Sezieren hätte etwas mit Zauberei zu tun – obwohl ich sagen muß, daß magische Praktiken, die in Ephesus die Todesstrafe zur Folge gehabt hätten, in Ägypten offen ausgeübt wurden. Deshalb verstehe ich nicht, warum sich überhaupt jemand darüber aufregte, wenn Leichen medizinisch korrekt seziert wurden. Die hippokratische Tradition stand schon immer in scharfem Gegensatz zu jedweder Magie. Doch die Behörden machten eben manchmal ein Getue. Außerdem ist es schwierig, einen geeigneten Leichnam zu finden, so daß nicht so häufig seziert wird, wie man sich das wünschen könnte. Jedesmal wenn es einem der Professoren des Museums gelang, eine Leichenöffnung zu arrangieren, versuchten sämtliche Studenten wie wild einen Platz in der Nähe des Seziertisches zu erobern, um alles mitzubekommen. Adamantios hatte fünf Assistenten, und sie bekamen natürlich die besten Plätze. Doch schon die zweitbesten Plätze verursachten beträchtliche Machenschaften und ein fürchterliches Geschubse zwischen den übrigen. Ich landete schließlich ganz hinten, in der Nähe der Wand, wo ich überhaupt nichts sehen konnte. Doch bevor Adamantios sein Messer ansetzte, blickte er einmal in die Runde und bemerkte mich. »Chariton«, rief er, »kannst du von dort aus etwas sehen?«
    Ich gab zu, daß ich fast nichts sah.
    »Dann komm nach vorne«, forderte Adamantios mich auf.
    »Du bist neu hier und hast so etwas bisher noch nie gesehen. Und du wirst einen besseren Gebrauch von dem Gesehenen machen können als der größte Teil des Haufens hier.«
    »Der größte Teil des Haufens« stöhnte gemeinsam auf: Einige sahen richtig wütend aus – aber sie machten mir Platz. Ich traute mich kaum zu atmen. Ich spürte, daß mir niemals ein größeres Kompliment gemacht worden war, bahnte mir einen Weg nach vorne und beobachtete alles, so als hinge mein Leben davon ab. Als Adamantios sein Messer an dem Leichnam ansetzte (es war der einer älteren Frau; ich glaube, sie war die Sklavin eines Freundes von ihm gewesen), fühlte ich mich ein bißchen flau, aber schon bald dachte ich nicht mehr darüber nach. Der menschliche Körper ist ein Rätsel, ein Geheimnis und ein Wunder zugleich, und ich war von ihm vollkommen in den Bann gezogen. Adamantios arbeitete langsam, erklärte alles, fragte und beantwortete Fragen, während er mit dem Sezieren fortfuhr. Der Magen und die Verdauungsorgane, die Leber, das Zwerchfell, die Lungen, das Herz…
    An dieser Stelle fiel einer von Adamantios’ Studenten in Ohnmacht – es war der junge Mann aus Antiochia. Adamantios legte sein Messer zur Seite und sah verärgert aus, dann kam er um den Seziertisch

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