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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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erstenmal seit Wochen fühlte ich mich wieder schüchtern und unbeholfen. Ich hatte das dauernde hämische Grinsen ignorieren können, weil ich nichts von meinen Kommilitonen gewollt hatte und weil ich sowieso fast meine ganze Zeit mit Philon verbrachte. Jetzt bot mir Theogenes eine Art Kameradschaft an, und ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Junge Damen besuchen keine Tavernen. Aber ich war keine junge Dame, warum also nicht? »Sicherlich«, sagte ich und lächelte ein wenig nervös. »Danke.«
    Er lächelte zurück. »In Ordnung also. Es ist eine große Taverne mit einem Pferdekopf als Schild. Du kannst sie nicht verfehlen. Ich sehe dich dann dort!«
    Ich kam so spät auf den Somaplatz, daß ich Philon verpaßte und von Patient zu Patient hinter ihm herjagen mußte, bis ich ihn fand. Aber als ich ihm erklärte, warum ich mich verspätet hatte, freute er sich.
    »Ich habe Adamantios gebeten, dir mir zuliebe eine faire Chance zu geben«, erzählte er. »Wir haben bei demselben Lehrer studiert. Deshalb war er einverstanden. Aber er hätte dich nicht nach vorne gebeten, wenn er nicht der Ansicht gewesen wäre, daß du einiges versprichst. Ich dachte mir schon, daß er seine Zusage einhält.« Ich fühlte mich so, als hätte ich die Welt erobert.
    Als ich an jenem Abend nach Hause kam, erzählte ich begeistert von Theogenes’ Einladung und schilderte alle Einzelheiten des Sezierens. Die andern waren es gewohnt, daß solche Dinge am Abendbrottisch besprochen wurden, und so verdarb es niemandem den Appetit.
    »Wunderbar!« sagte Deborah und lächelte nachsichtig. »Weiß dein Wohltäter eigentlich, wie gut du dich inzwischen hier eingelebt hast?«
    Einen Augenblick lang war ich vor Schrecken ganz stumm. Mir wurde plötzlich klar, daß ich seit Wochen kaum an zu Hause gedacht hatte. Ich murmelte etwas, das wie eine Antwort klingen sollte – ich hätte die Absicht, bald zu schreiben –, und wandte mich erneut der Beschreibung der sezierten Leber zu.
    Aber als ich in meinem Zimmer war, machte ich mir Sorgen. Ich hatte es immer wieder aufgeschoben, Thorion zu schreiben, da ich nicht wußte, ob er in Ephesus oder in Konstantinopel wohnte. Ich konnte es nicht riskieren, daß der Brief fehlgeleitet wurde und in Vaters Haus landete. Auf dem Markt hatte ich einige der Neuigkeiten aus Asien gehört – in Alexandria treffen die Nachrichten aus der ganzen Welt ein. Mein Verschwinden einen Monat vor der Hochzeit hatte einen riesigen Skandal verursacht. Festinus war angeblich völlig außer sich. Ich konnte mir vorstellen, daß Vater wie gelähmt vor Angst war. Wenn er gewußt hätte, wo ich war, hätte er sofort jemanden losgeschickt, um mich nach Hause zu holen. Und wenn ich erst einmal zu Hause war, würde man mir wieder meine längst überholte, mädchenhafte Bescheidenheit aufzwingen, vielleicht sogar die Ehe. Und man würde vertuschen, wo ich gewesen war. Aber ich mußte Thorion und Maia schreiben. Sie mußten sich inzwischen große Sorgen machen. Doch was konnte ich ihnen erzählen?
    »Wir haben heute einen Leichnam seziert. Einer der Studenten hat mich in eine Taverne eingeladen, um mit mir über die Einzelheiten zu sprechen. Gestern hat mich mein Lehrmeister den entzündeten Finger eines Schiffszimmermannes mit einer Pinzette öffnen und anschließend vernähen lassen«? Sie wären entsetzt gewesen. Ich empfand plötzlich Angst. Ein riesiger Abgrund hatte sich zwischen meinem früheren Ich und meinem jetzigen, wirklichen Ich geöffnet, und ich wußte nicht, was die beiden davon halten würden.
    Ich ging zum Tisch und goß mir etwas von dem Wasser aus dem Krug ein, dann setzte ich mich. Auf dem Tisch lag ein Buch, eine der Abhandlungen des Herophilos über die Anatomie. Ich nahm es in die Hand und blätterte hin und her. Eine Stelle schien sich auf das Sezieren zu beziehen, und ich begann, ernsthaft darin zu lesen. Nach und nach vergaß ich meine Familie und die immer größer werdende Notwendigkeit, ihr zu schreiben.
    Zwei Abende später zog ich los, um Theogenes und die übrigen in der Taverne zu treffen. Ich konnte das Haus, genau wie er es versprochen hatte, überhaupt nicht verfehlen. Es lag an dem öffentlichen Platz gegenüber den an das Castellum angebauten Kasernen, und außer dem großen, vergoldeten Pferdekopf schmückte ein auffallend bemalter Fries von Zechern sein Portal. Daneben standen mehrere Amphoren mit Wein. Ich wartete einen Augenblick lang draußen in der warmen, herrlichen Abendluft und war fast

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