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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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krank vor Nervosität. Von drinnen hörte ich das Geräusch von Stimmen, es waren nicht sehr viele, und sie waren nicht sehr laut, da es noch früh war. Die Taverne hatte auch nicht etwa einen schlechten Ruf. Doch das war es nicht. Hier stand ich, die behütet aufgewachsene Tochter eines Mannes, der die Würde eines Konsuls bekleidete, und war drauf und dran, eine öffentliche Taverne zu betreten. Davon einmal abgesehen, hatte ich furchtbare Angst, was die anderen wohl von mir denken würden, ob sie vielleicht ärgerlich waren, daß Theogenes mich eingeladen hatte. Ich wäre fast umgekehrt und wieder nach Hause gegangen, allein der Gedanke, Philon und seiner Familie alles erklären zu müssen, ließ mich innehalten. Nun, sagte ich zu mir selber, wenn sie glauben, daß du ein eingebildeter, überheblicher Eunuch bist, dann liegen sie falsch. Und was sie auch immer glauben mögen, es darf dir nichts ausmachen. Ich riß mich zusammen und ging hinein.
    Im Innern befand sich ein großer Hauptraum, der von einer Anzahl blankgeputzter Messinglampen erleuchtet war, die von der Decke herabhingen. Der Raum war mit Tischen vollgestellt. Ich stand immer noch an der Tür und blickte mich um, als Theogenes meinen Namen rief und ich ihn und die anderen am entgegengesetzten Ende des Raumes entdeckte. Ich eilte zu ihnen, und Theogenes stellte mich den übrigen auf seine forsche Art vor. Vom Sehen kannte ich bereits alle, die meisten sogar mit Namen. Eigentlich hatte ich erwartet, daß sie genau wie Theogenes allesamt Juden waren. Doch sie waren bunt gemischt: Juden, Heiden und Christen; Schüler ganz verschiedener Ärzte und gebürtig aus ganz verschiedenen Städten. Die meisten lächelten, nickten mir zu, als Theogenes ihren Namen nannte, und sahen mich neugierig an. Einer oder zwei machten einen etwas mürrischen Eindruck, aber keiner verlor eine Bemerkung über mein Auftauchen in der Taverne. Theogenes machte mir Platz auf seiner Bank, und ich setzte mich.
    »Noch einen Becher für unseren Freund und mehr Wein, Liebling!« sagte Theogenes zu dem Mädchen, das uns bediente, und sah ihr einen Augenblick lang nach, als sie sich gehorsam in Trab setzte, um das Geforderte zu holen. »Ist sie nicht hübsch?« fügte er hinzu, ohne sich dabei an jemanden im besonderen zu wenden. Dann drehte er sich zu mir um: »Wir haben für unsere Diskussionen hier eine Regel aufgestellt, Chariton: nicht über Religion zu sprechen. Jeder, der ein religiöses Thema anschneidet, muß eine Runde ausgeben. Im übrigen teilen wir uns die Kosten und haben unseren Spaß, obwohl wir meistens über medizinische Probleme sprechen. Kannst du mir sagen, was du bei dem Sezieren neulich gelernt hast? Bisher habe ich von jedem, den ich gefragt habe, eine völlig anderslautende Schilderung bekommen.«
    Das Thema war so interessant, daß ich meine Nervosität vollkommen vergaß. Als wir mit dem Sezieren endlich durch waren (und ich ein paar Becher Wein geleert hatte), spürte ich, daß ich unter Freunden war und lehnte mich entspannt und zufrieden an die Wand zurück.
    »Dein Hippokrates behauptet, daß die Gefäße, die den Samen bei einer Frau in ihre Gebärmutter leiten, die gleichen sind wie diejenigen, die bei einem Mann in den Penis führen. Angeblich kommen diese Gefäße aus dem Kopf und führen über die Nieren«, sagte einer der anderen Studenten spät am Abend. »Ich habe nichts dergleichen entdecken können.«
    »Du wußtest eben nicht, wonach du suchen solltest«, sagte Theogenes ein wenig hochmütig.
    »Und du warst nicht einmal in der Lage, überhaupt nach etwas zu suchen«, erwiderte sein Freund. »Du warst draußen im Hof.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob es da überhaupt etwas zu suchen gab«, sagte ich widerstrebend. »Ich glaube, Hippokrates hat das vielleicht falsch verstanden.«
    »Was!« rief Theogenes lachend aus. »Der unsterbliche Hippokrates hat einen Fehler gemacht?«
    »Nun, er hat nie jemanden seziert, oder?« erwiderte ich. »Zu seiner Zeit hatten sie damit wohl noch größeren Ärger als heute. Er stellte eben nach bestem Wissen und Gewissen Mutmaßungen an, ohne jemanden aufzuschneiden.«
    »Hippokrates behauptet auch, die Blutgefäße eines Mannes gingen durch die Hoden«, fuhr der andere Student fort. »Das sei auch der Grund dafür, warum Eunuchen keine Kinder haben können, weil bei der Entfernung der Hoden diese Verbindung zerstört wird.« Es entstand ein verlegenes Schweigen, und alle starrten mich neugierig an. »Wie war das

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