Der Leuchtturm von Alexandria
du solltest eigentlich wissen, was passiert, sobald er stirbt.«
»Vortrefflicher Athanaric, ich würde lieber nicht darüber sprechen.«
»Ich glaube aber, es wäre besser für dich. Wenn Athanasios stirbt, wird es zu einem großen Blutvergießen kommen. Und falls du in die Sache verwickelt bist, wird dir dein Status als Arzt nicht viel helfen. Du würdest ebenso schnell wie jeder Fanatiker aus der nitrischen Wüste in den Kerker geworfen werden.«
Ich seufzte. Also keine Bestechung mehr. Drohungen. »Ich werde keines Menschen Blut vergießen, außer vielleicht bei einem chirurgischen Eingriff. Selbst der fanatischste Arianer wird mich kaum in den Kerker werfen, nur weil ich meine Patienten gewissenhaft behandle.«
»Und was geschieht, wenn deine Patienten Flüchtlinge oder Verbrecher sind? Du solltest dich besser aus all dem heraushalten. Hör zu, ich kann dir eine Empfehlung für den Posten eines Amtsarztes in irgendeiner anderen Stadt geben. Unser frommer Augustus, der Erlauchte Valentinian, hat eine ganze Anzahl von Ärzten in Rom eingesetzt, in jedem Stadtteil einen. Sie behandeln die Armen kostenlos, und der Staat zahlt ihnen ein gutes Gehalt. Sie würden sich freuen, dich nach Rom zu bekommen, und du würdest dort eine Menge bewirken können. Du könntest nach Herzenslust das gemeine Volk behandeln und eine bessere Belohnung dafür erwarten, als ins Gefängnis geworfen zu werden. Und falls du Rom nicht magst, dann gibt es auch noch andere Städte. Ich sähe es gar nicht gerne, einen so guten Arzt in Schwierigkeiten zu wissen.«
»Bist du fertig?«
Er sah mich verärgert an. »Nun schön, dann hörst du eben nicht auf die Stimme der Vernunft!«
Er war fertig! Ich hatte eine persönliche Drohung erwartet, etwa in der Art: »Wenn du die Stadt nicht verläßt und deinen Patienten aufgibst, werde ich dich den Behörden melden müssen.«
Aber vielleicht wollte er, daß ich so etwas vermutete. »Ich danke Eurer Fürsorglichkeit für diesen Ratschlag«, sagte ich.
»Im Augenblick bin ich hier unter all meinen Freunden ganz zufrieden. Ich will deinen Eifer nicht bremsen. Du hast sicher eine Menge Arbeit, die deine Aufmerksamkeit erfordert.«
»Oh, zur Hölle mit deinen Freunden!« rief er aus. »Ich wollte dir nur helfen. Dann leb also wohl, Chariton, und viel Glück!« Und damit ging er hinaus und warf die Tür hinter sich zu. Ich saß auf meinem Bett und fragte mich, ob ich nicht lieber auf ihn hätte hören sollen.
12
Als ich Philon eine Woche später wiedertraf, machte ich mir immer noch Sorgen. Er hatte mich zum Abendbrot eingeladen, und wir hatten vereinbart, uns nach der Tagesarbeit auf dem Somaplatz zu treffen, da die meisten meiner Patienten im Westen der Stadt wohnten und die meisten der seinen im Osten. Als ich ankam, fand ich Philon auf den im Windschatten liegenden Trümmern des alten Museums sitzend vor. Wir machten uns sogleich auf den Weg und gingen in Richtung auf die Via Canopica. Einige Kinder spielten in den Ruinen des alten Museums; eine Ziege, die zwischen den Steinen graste, meckerte, als ihre Besitzerin mit dem Melkeimer auftauchte; ein paar Dirnen lächelten uns aus dem Schatten neben einem Weinladen zu; bei der Kirche des Alexanders wurden gerade die Lampen entzündet: Sie schimmerten safrangelb und silbern in der Dämmerung. Dann erscholl ein lauter Ruf und das Getrappel vieler Füße, die zum Klang einer Trommel marschierten. Ein Trupp Soldaten stürmte die Straße herauf, ihre genagelten Stiefel dröhnten auf dem Pflaster. Die Menschen wichen beiseite und beobachteten die Männer aus den Augenwinkeln; die Kinder hörten auf zu spielen; die Frau preßte den Kopf ihrer Ziege an die Brust, damit sie Ruhe gäbe; die Lampenanzünder verschwanden in der Kirche; selbst die Dirnen beobachteten das Geschehen ohne ein Lächeln und mit verkrampftem Gesichtsausdruck. Der Trupp marschierte vorbei, bog nach links ab und zog in Richtung auf die Zitadelle davon.
»Was glaubst du, wieviel Ärger es geben wird?« fragte ich Philon, als die Soldaten verschwunden waren und wir uns erneut auf den Weg machten. Ich brauchte nichts hinzuzufügen; er wußte, daß ich meinte: »Wenn Athanasios stirbt.«
Er seufzte. »Du weißt mehr darüber als ich. Du steckst mittendrin. Was wird denn deiner Meinung nach passieren?«
Einen Augenblick lang erwiderte ich nichts. »Die Regierung wird ihren eigenen Bischof schicken. Diesen Burschen Lucius«, meinte ich schließlich. »Und die Kirche wird ihn nicht
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