Der Leuchtturm von Alexandria
können.«
»Wenn das jemals geschehen sollte«, sagte ich und schluckte , »werde ich zu alt zum Heiraten sein.«
»Du hast Freunde«, meinte er. »Und du könntest Schüler haben. Schüler können einem fast so ans Herz wachsen wie eigene Kinder – diese Erfahrung habe ich gerade gemacht.«
Ich schlang meine Arme um seinen Hals und weinte an seiner Schulter.
14
Nach seinen Drohungen und dem Angebot, mir eine Stelle als Amtsarzt zu verschaffen, mied Athanaric mich. Er war allerdings nach wie vor im Palast, stellte Fragen und ging gelegentlich fort, um den Präfekten oder den ägyptischen Heerführer aufzusuchen und sich mit ihnen zu beraten. Ich hatte nicht die Zeit, mir allzu viele Gedanken über ihn zu machen. Ich hatte alle Hände voll mit meinen Patienten zu tun und fragte mich bereits, ob ich nicht sofort einen Assistenten nehmen sollte. Für jemanden, der erst vor drei Jahren nach Alexandria gekommen und der noch nicht einmal zwanzig war und erst seit ein paar Monaten auf eigene Rechnung praktizierte, war es wohl etwas Außergewöhnliches, sich einen Assistenten zu nehmen. Aber ich arbeitete so intensiv, daß ich kaum Zeit zum Schlafen hatte. Und immer, wenn ein Patient eine Krise erlitt, verspürte ich den lebhaften Wunsch, jemanden bitten zu können, die Runde bei den übrigen Kranken zu machen, so wie Philon mich loszuschicken pflegte.
Doch ich sah mich nicht nach einem anderen Posten in einer anderen Stadt um. Ich war stolz auf das Erreichte. Und Philons Überlegungen halfen mir, mit etwas mehr Hoffnung in die Zukunft zu sehen. Eines Tages, weit in der Zukunft, könnte ich mich vielleicht ganz offen Charis von Ephesus nennen, Ärztin in Alexandria, könnte vielleicht selbst ein paar Schüler haben, ein oder zwei Frauen. Es war immerhin etwas, wovon man träumen konnte. Ostern fiel in jenem Jahr auf die Kalenden des April oder, nach der ägyptischen Zählweise, auf den fünften des Monats Pharmuthi – die Ägypter machen alles anders als andere und haben auch einen völlig anderen Kalender. Der Erzbischof hielt die Fastenzeit sehr streng ein und nahm nichts außer trocken Brot und Wasser zu sich. Und er zog überall in der Stadt und in der Umgebung herum, predigte und regelte die Angelegenheiten der Kirche. Er war darauf bedacht, möglichst viele Geldreserven und Verstecke anzulegen, die seinen Anhängern nach seinem Tode nützlich sein könnten. Die alexandrinische Kirche war sehr reich, ihr gehörte ein großer Teil des Landbesitzes in der Region. Athanasios und Theophilos gingen die Einnahmen Punkt für Punkt durch und versuchten, das Land und das Barvermögen auf ihre treuen Anhänger zu übertragen, so daß ein ihnen aufgezwungener Bischof nicht seine Hände darauf legen konnte. Theophilos war sehr geschickt in diesen Dingen, doch Athanasios machte sich seinetwegen Sorgen. »Er liebt die Kirche«, sagte er einmal zu mir. »Aber ich weiß nicht, wie sehr er Gott liebt.«
Ich meinerseits machte mir Sorgen um Athanasios. Er hustete immer öfter und bekam gelegentlich Fieber; das Fasten und die viele Arbeit erschöpften ihn. Aber wenn ich ihm deswegen Vorwürfe machte, lächelte er nur und gab sich nicht einmal mehr die Mühe, mit mir darüber zu streiten.
Am Abend vor Ostern blieben er und die halbe Bevölkerung Alexandrias die Nacht über auf und hielten die Vigilien ab. Sie läuteten das Fest in dem winzigen Heiligtum des Märtyrers Erzbischof Petrus ein, das in der Nähe des Meeres, außerhalb der Stadtmauer, liegt. Dort versammelte sich eine riesige Menge, Tausende und Abertausende von Menschen, und ich befand mich mit meinen Mitbewohnerinnen, den Nonnen, mitten unter ihnen.
Als der Abend hereinbrach, wurde überall gesungen; Musiker spielten auf der Lyra, der Flöte und den Zymbeln; einige Leute tanzten. Als es dunkel wurde, sahen wir, wie der Pharos entzündet wurde: Zuerst, als die Kienspäne Feuer fingen, ein winziger, gelber Schein, dann ein heller, safrangelber Strahl und schließlich ein breites Lichtband, das sich über das dunkle Meer vorantastete und das, während das Feuer stetig loderte, in immer weiterer Ferne zu sehen war. Man konnte die Umrisse der Stadt erkennen, ein Netz aus kleinen Lichtern, durchzogen von den breiten Prachtstraßen: der Via Canopica und der Via Soma. Auf der anderen Seite der Stadt konnte man das Kap Lochias ausmachen, die Zitadelle des Statthalters, deren steinerne Befestigungen sich düster gegen das Meer abhoben. Die Musiker hörten auf zu spielen, und
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