Der Leuchtturm von Alexandria
akzeptieren. Es wird Aufstände geben und Verhaftungen. Eigentlich wollte ich wohl fragen, ob es möglich sein wird, mich nach wie vor um meine Patienten zu kümmern, ohne deswegen Ärger zu bekommen.«
»Ich weiß es nicht.« Philon sah mich mitfühlend an. »Das hängt wahrscheinlich eher von den Behörden ab als von deinen Patienten. Ich kann mir vorstellen, daß dir nichts passiert, falls du dich aus den aktuellen Streitigkeiten heraushältst und nicht so laut herausposaunst, daß du Flüchtlinge behandelst. Was könntest du denn sonst tun?«
Ich erzählte ihm von Athanarics Angebot.
»Amtsarzt in Rom?« fragte er. »Das war aber großzügig. Er muß sehr beeindruckt gewesen sein von dem, was er über dich in Erfahrung gebracht hat. Schau nicht so überrascht – natürlich hat er auch mich befragt. Er wollte schließlich Informationen über dich, nicht wahr? Er fragte oben am Tempel nach, und er fragte mich bei mir zu Hause aus. Ich glaube nicht, daß er irgend etwas entdeckt hat. Und ich glaube nicht, daß er aufgrund der Antworten irgend etwas vermuten könnte… Du willst sein Angebot also annehmen?«
»Nein. Ich traue Athanaric nicht über den Weg. Er kann sagen, was er will: Versprechungen kosten nichts. Er hat mir auch nicht eigentlich einen Posten versprochen, nur eine Empfehlung. Und warum sollten sie in Rom auf ihn hören? Er ist weder Römer noch Arzt; seine Empfehlung wäre nicht viel wert. Wahrscheinlich haben sie bereits genug Ärzte. Außerdem gefällt mir der Gedanke gar nicht, meine Patienten gerade in dem Augenblick, in dem sie mich am dringendsten benötigen, im Stich zu lassen.«
Philon zog an seiner Unterlippe und nickte, wobei er mich mit dem eigenartig verkniffenen Lächeln bedachte, das er immer dann aufsetzte, wenn ich etwas sagte, was er aus eigener Erfahrung nur allzugut kannte. »Nun«, fuhr ich fort.
»Es war nur… er hat mich eben nervös gemacht.« Philon lächelte. »Wer könnte dich deswegen tadeln? Was würde passieren, falls… falls die Behörden es herausfänden?«
Ich zuckte die Achseln. »Ich nehme an, sie würden mich einfach mit Schimpf und Schande nach Hause schicken. Und wenn ich erst einmal zu Hause wäre…« Ich zögerte und sah mich nach den geschlossenen Fensterläden und den wenigen Menschen um, die die breite Straße hinuntereilten. Niemand war in der Nähe, doch ich fuhr im Flüsterton fort: »Ich würde dort den Rest meines Lebens herumsitzen und Däumchen drehen. Ich müßte mir keine Gedanken wegen einer Ehe machen. Falls mich überhaupt noch jemand heiraten wollte, würde er von niederem Rang sein, der das Geld so nötig brauchte, daß es die Schande wettmachte. Aber selbst so jemand würde von mir verlangen, daß ich mich schicklich benehme. Ich würde niemals mehr ich selbst sein können.«
Einen Augenblick lang gingen wir schweigend nebeneinander her. Philon hatte die Augen niedergeschlagen. »Nun«, meinte er schließlich, »ich hoffe, du kannst dich aus allem heraushalten.« Wir näherten uns der Straße, in der sein Haus stand. An der Ecke blieb er stehen und sah mich an.
»Oh, ich habe ganz vergessen, es dir zu erzählen. Theogenes kommt auch – ja, schon wieder! Und mein neuer Assistent ist inzwischen ebenfalls da: Du wirst ihn beim Abendbrot kennenlernen.«
Ich hatte schon vor ein paar Wochen von diesem neuen Assistenten, den Philon da ins Auge gefaßt hatte, gehört und versucht, mich an den Gedanken zu gewöhnen. Aber ich konnte nicht anders, ich war eifersüchtig auf ihn. Trotzdem brachte ich ein Lächeln zustande. »Natürlich, du brauchst schließlich jemanden, der dir bei deinen vielen Patienten hilft. Ich habe nie verstanden, warum du vor mir keinen Assistenten hattest.«
Er grinste. »Wirklich nicht? Ich will es dir erklären. Ich verdiene nicht viel Geld. Die meisten Assistenten sehen Geld als etwas sehr Nützliches an. Und selbst diejenigen, die nicht viel danach fragen, möchten gern bei jemandem in die Lehre gehen, der einen Namen hat, und sie glauben, daß jeder, der einen Namen hat, auch viel Geld verdient oder doch zumindest ein paar reiche oder vornehme Patienten hat.«
»Ich weiß«, erwiderte ich lächelnd. »Aber du bist ein genauso guter Arzt wie Adamantios – ein besserer sogar. Du hättest ebensogut Vorlesungen im Tempel halten und dir ein paar reiche und vornehme Patienten suchen können.«
Er kratzte seinen Bart. »Das stimmt wahrscheinlich. Aber als ich aus Tiberias fortlief, schloß ich einen Handel mit Gott.
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