Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
fragte Martin.
»Die ist von nun an unser Ausgangspunkt. Sobald wir mehr wissen, setzen wir uns wieder zusammen. Falls es morgen nicht klappt, fahren wir spätestens am Mittwoch nach Göteborg.«
Sie beendeten die Besprechung, und Patrik ging zum Auto. Auf dem Heimweg war er tief in Gedanken versunken.
Fjällbacka 1871
E s war Herbst, als sie Gråskär zum ersten Mal verlassen durfte. Genau wie beim ersten Mal fand sie die Bootsfahrt aufregend, aber in Panik geriet Emelie nicht. Sie hatte lange am Meer gelebt und dessen Geräusche und Bewegungen gut kennengelernt. Wahrscheinlich hätte sie sich damit anfreunden können – hätte es sie nicht auf der Insel gefangen gehalten. Nun brachte es sie jedenfalls in den heimatlichen Hafen.
Die Wasseroberfläche war spiegelglatt. Sie konnte es nicht lassen, die Hand ins Wasser zu halten und eine Furche hineinzupflügen. Während sie sich über die Reling beugte, hielt sie die andere Hand schützend auf den Bauch. Karl stand am Ruder. Er sah plötzlich ganz anders aus, nachdem er sich von Gråskär und dem Schatten des Leuchtturms entfernt hatte. Elegant. Das war ihr schon lange nicht mehr aufgefallen. Das Böse in seinen Augen hatte ihn hässlich gemacht. Als sie ihn jetzt konzentriert dort stehen sah, wusste sie wieder, was sie einst so anziehend an ihm gefunden hatte. Vielleicht hat die Insel ihn verändert, dachte Emelie. Oder irgendetwas hier hat das Böse in ihm zum Vorschein gebracht. Hastig verwarf sie den Gedanken wieder. Was war sie für eine Närrin. Die warnenden Worte von Edith gingen ihr jedoch nicht aus dem Kopf.
Heute würden sie ausnahmsweise die Insel verlassen, wenn auch nur für ein paar Stunden. Sie würden andere Menschen sehen, notwendige Besorgungen machen und waren bei Karls Tante zum Kaffeetrinken eingeladen. Natürlich würde sie auch zum Arzt gehen. Sorgen machte sie sich nicht. Sie wusste, dass mit dem Kind, das so munter in ihrem Bauch strampelte, alles in Ordnung war. Trotzdem freute sie sich darauf, dass der Doktor ihr das bestätigen würde.
Lächelnd schloss sie die Augen. Der Wind auf der Haut war angenehm.
»Setz dich ordentlich hin!« Emelie zuckte zusammen.
Und sie erinnerte sich an die letzte Hinfahrt. Sie war frisch verheiratet, voller Erwartungen, und Karl behandelte sie noch freundlich.
»Es tut mir leid.« Sie senkte den Blick. Sie wusste selbst nicht genau, wofür sie sich entschuldigte.
»Kein unnötiges Geschwätz«, sagte er eisig. Er war wieder der Karl von der Insel. Der hässliche Mann mit den bösen Augen.
»Nein, Karl.« Von nun an hielt sie den Blick gesenkt. Das Kind in ihrem Bauch trat so heftig zu, dass sie nach Luft schnappte.
Plötzlich erhob sich Julian, der ihr gegenübersaß, und setzte sich viel zu dicht neben sie. Packte sie fest am Arm.
»Du hast gehört, was Karl gesagt hat. Kein Geschwätz. Kein Wort über die Insel oder Dinge, die nur uns etwas angehen.« Seine Finger bohrten sich immer tiefer in ihr Fleisch. Sie verzog das Gesicht.
»Nein.« Vor Schmerz kamen ihr die Tränen.
»Sitz jetzt still. Sonst gehst du noch über Bord«, flüsterte Julian, ließ ihren Arm los und stand auf. Er setzte sich wieder auf seinen Platz und richtete den Blick auf Fjällbacka.
Emelie legte sich wieder die zitternden Hände auf den Bauch. Auf einmal merkte sie, dass sie die Gesellschaft vermisste, die sie auf der Insel hatte. Jene vermisste, die dort geblieben waren und die Insel niemals verlassen würden. Sie schwor sich, dass sie für sie beten würde. Vielleicht würde Gott ihre Gebete erhören und sich der verirrten Seelen erbarmen.
Als sie am Landungssteg in der Mitte des Ortes anlegten, blinzelte sie die Tränen fort und spürte, wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. Endlich war sie wieder unter Menschen. Noch konnte sie Gråskär verlassen.
P feifend ging Mellberg zur Arbeit. Sein Gefühl sagte ihm, dass dies ein guter Tag werden würde. Am Vorabend hatte er einige Telefonate erledigt, und nun blieb ihm noch eine halbe Stunde, um sich zurechtzumachen.
»Annika«, rief er, kaum dass er die Rezeption betreten hatte.
»Du brauchst wirklich nicht zu schreien, ich sitze hier.«
»Sei bitte so nett und bereite den Konferenzraum vor.«
»Konferenzraum? Ich wusste gar nicht, dass wir hier so etwas Vornehmes haben.« Sie nahm ihre Bildschirmbrille ab und schwenkte sie an der Schnur hin und her.
»Du weißt schon, welches Zimmer ich meine. Das einzige, in dem Platz für mehrere Stühle
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