Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
er sich von der Arbeit zu Tode stressen ließ. Das hätte sie ihm nie verziehen.
»Hallo, hier sind wir wieder.« Sie schob den Kinderwagen in die Bibliothek.
»Guten Tag«, rief May erfreut. »Du bist wohl gestern nicht fertig geworden.«
»Nein, ich wollte mir noch ein paar mehr Bücher ansehen. Die Gelegenheit ist günstig, denn die Jungs sind gerade eingeschlafen.«
»Wenn ich dir helfen soll, brauchst du nur zu fragen.«
»Danke.« Erica setzte sich an einen Tisch.
Es war mühsam, das zu finden, wonach sie suchte. Auf einem Notizblock notierte sie eifrig die Hinweise auf weiterführende Literatur. Meistens stieß sie auf nichts Interessantes, sondern nur auf Unmengen von Informationen über die anderen Inseln und die Gegend. Hin und wieder jedoch entdeckte sie ein Goldkörnchen, das sie weiterbrachte. Mit anderen Worten, es war wie immer, wenn sie recherchierte.
Sie beugte sich vor und warf einen Blick in den Wagen. Die Jungs schliefen friedlich. Sie vertrat sich ein wenig die Beine und las weiter. Dabei wurde ihr wieder bewusst, wie sehr sie Gruselgeschichten liebte. Sie hatte schon lange keine mehr gelesen. Als Kind hatte sie von Edgar Allan Poe bis zu den nordischen Volksmärchen alles verschlungen, was sie in die Finger bekam, die Geschichten konnten gar nicht schrecklich genug sein. Vielleicht hatte sie deshalb als Erwachsene damit begonnen, über reale Mordfälle zu schreiben. Möglicherweise waren sie eine Fortsetzung der unheimlichen Erzählungen aus ihrer Kindheit.
»Du kannst dir gern Kopien machen«, sagte May hilfsbereit.
Erica nickte und stand auf. Sie hatte eine ganze Reihe von Seiten gefunden, die sie zu Hause sorgfältig durchlesen wollte. Plötzlich spürte sie das vertraute Kribbeln im Bauch. Sie wühlte und grub für ihr Leben gern in der Vergangenheit und setzte sie Stück für Stück wieder zusammen. Vor allem nach etlichen Monaten, in denen sie außer Babys nichts im Kopf gehabt hatte, tat es gut, sich wieder mit einem Thema für Erwachsene zu beschäftigen. Dem Verlag hatte sie gesagt, dass sie erst in einem halben Jahr mit dem nächsten Buch anfangen würde, und an diesem Entschluss gab es auch nichts zu rütteln. Trotzdem brauchte sie bis dahin etwas, womit sie ihr Gehirn beschäftigen konnte. Dies hier schien ein sanfter Start zu sein.
Mit einem Stapel Kopien im Wagennetz spazierte sie gemächlich nach Hause. Die Jungs schliefen immer noch. Das Leben zeigte sich von der sonnigen Seite.
»So eine verfluchte Scheiße aber auch …« Normalerweise pflegte Patrik sich nicht so derb auszudrücken, aber Gösta hatte Verständnis. Diesmal hatte Mellberg sich selbst übertroffen.
Patrik haute mit der Faust auf das Armaturenbrett, dass Gösta zusammenzuckte.
»Denk an dein Herz.«
»Ja, ja«, brummte Patrik, zwang sich aber, tief durchzuatmen und sich ein wenig zu beruhigen.
»Da.« Gösta zeigte auf eine Parklücke. »Wie gehen wir vor?«, fragte er noch im Auto.
»Wir haben keinen Grund, etwas zu beschönigen«, antwortete Patrik. »Es wird sowieso alles in der Zeitung stehen.«
»Ich weiß. Aber egal, was Mellberg da vielleicht angerichtet hat, jetzt müssen wir uns auf die kommende Aufgabe konzentrieren.«
Patrik sah Gösta überrascht und leicht beschämt an.
»Du hast recht. Das Kind ist ohnehin in den Brunnen gefallen, und wir müssen vorankommen. Ich schlage vor, wir fangen mit Erling an und reden dann mit Mats’ übrigen Kollegen. Wir müssen herausbekommen, ob einem von ihnen etwas aufgefallen ist, das auf Drogen oder Sucht hindeutet.«
»Was zum Beispiel?« Gösta hoffte, dass er keinen allzu beschränkten Eindruck machte, aber er hatte tatsächlich nicht verstanden, was Patrik damit meinte.
»Vielleicht hat er sich in irgendeiner Weise auffällig oder ungewöhnlich verhalten. Er scheint ja extrem ordentlich gewesen zu sein, aber vielleicht erinnern sie sich an etwas, das diesem Eindruck widerspricht.«
Patrik und Gösta stiegen aus dem Auto. Sie hatten nicht vorher angerufen, um sich zu erkundigen, wer an diesem Tag arbeitete, konnten aber am Empfang feststellen, dass sie Glück hatten. Alle Mitarbeiter waren anwesend.
»Erling hat doch sicher Zeit für uns?« Aus Patriks Mund klang es nicht wie eine Frage, sondern wie ein Befehl.
Das Mädchen hinter dem Empfangstresen sah ihn erschrocken an. »Er hat gerade keinen Termin.« Sie zeigte in die Richtung, in der sich, wie Gösta bereits wusste, Erlings Zimmer befand.
»Tag«, sagte Patrik an der Tür.
»Guten
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