Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
war es ein Fehler gewesen, dass er die Rolle des Mannes in der Familie übernahm. Schließlich war er erst acht Jahre alt. Er war aber so selbstverständlich in diese Aufgabe hineingewachsen und kümmerte sich gern um seine Mädels, wie er sie nannte. Die Verantwortung hatte ihn größer und stärker gemacht. Kevin strich sich den Pony aus der Stirn. Äußerlich war er seinem Vater ähnlich, aber das Herz hatte er von ihr. Ihre Schwäche , wie der es nannte, wenn die Schläge kamen.
Langsam ließ sie den Kopf gegen die Scheibe prallen. Ihr Körper war von Hoffnungslosigkeit erfüllt. Von ihren Zukunftsplänen war nichts mehr übrig. Immer fester hämmerte sie gegen die Scheibe und spürte, wie ihr der vertraute Schmerz eine seltsame Ruhe schenkte. Sie ließ die Postkarte los, und das Bild des Adlers mit den ausgebreiteten Flügeln segelte über den Fußboden. Draußen sauste Vilda selig lächelnd die Rutsche hinunter.
Fjällbacka 1871
W ie ist es euch auf der Insel ergangen? Es muss einsam dort sein.« Dagmar warf einen prüfenden Blick auf Emelie und Karl, die ihr auf dem Verlobungssofa steif gegenüber saßen. In Karls breiter Hand wirkte die zerbrechliche kleine Kaffeetasse fehl am Platz, aber Emelie hielt ihre vornehm mit spitzen Fingern und nippte an dem heißen Getränk.
»Es ist so, wie es ist«, antwortete Karl, ohne Emelie anzusehen. »Leuchttürme sind an einsamen Orten, aber wir kommen gut zurecht. Das müsstet ihr doch wissen.«
Emelie schämte sich. Ihrer Meinung nach sprach Karl viel zu barsch mit Dagmar, die immerhin seine Tante war. Emelie hatte gelernt, ältere Menschen respektvoll zu behandeln, und Dagmar war ihr von Anfang an sympathisch gewesen. Außerdem konnte niemand sie so gut verstehen wie Dagmar, denn sie war auch mit einem Leuchtturmwärter verheiratet gewesen. Ihr Mann, Karls Onkel, hatte viele Jahre im Leuchtturm gearbeitet. Während Karls Vater den Hof erben und verwalten sollte, hatte der jüngere Bruder eine freie Wahl treffen dürfen. Er war immer Karls Held gewesen und hatte ihn auf die Idee gebracht, sein Glück auf See zu suchen. In der Zeit, als Karl noch mit Emelie sprach, hatte er ihr das einmal erzählt. Nun war Karls Onkel Allan tot, und Dagmar lebte allein in einem Häuschen gleich neben dem Brandparken in Fjällbacka.
»Natürlich weiß ich, wie das ist«, sagte Dagmar. »Du kanntest Allans Geschichten und wusstest, worauf du dich einlässt. Es fragt sich nur, ob es Emelie genauso ging.«
»Sie ist meine Frau und muss sich damit abfinden.«
Emelie schämte sich für das Verhalten ihres Mannes und hatte einen dicken Kloß im Hals. Dagmar zog nur die Augenbrauen hoch.
»Der Pastor hat mir erzählt, dass Sie alles gut in Schuss halten.« Sie wandte sich an Emelie.
»Danke, das freut mich«, erwiderte Emelie leise und senkte den Kopf, damit niemand sah, wie rot sie geworden war. Mit Genuss trank sie noch einen Schluck Kaffee. Echten Bohnenkaffee bekam sie nicht oft. Karl und Julian kauften immer zu wenig davon ein, wenn sie in Fjällbacka waren. Wahrscheinlich gaben sie ihr Geld lieber in Abelas Kneipe aus, dachte sie verbittert.
»Wie versteht ihr euch mit dem Mann, der euch da draußen zur Hand geht? Ist er ein guter Mann, der kräftig mit anpackt? Allan und ich haben einiges erlebt. Mit manchen Kerlen war nicht viel anzufangen.«
»Er arbeitet ausgezeichnet.« Karl stellte seine Tasse so ruckartig auf die Untertasse, dass es schepperte. »Oder etwa nicht, Emelie?«
»Doch«, murmelte sie, wagte Dagmar aber nicht anzusehen.
»Wie hast du ihn gefunden, Karl? Er ist dir hoffentlich empfohlen worden, denn diesen Annoncen ist nicht zu trauen.«
»Julian hatte unheimlich gute Zeugnisse, und ich habe sofort gemerkt, dass er meine Erwartungen erfüllt.«
Emelie sah ihn verwundert hat. Karl und Julian hatten jahrelang zusammen auf dem Leuchtturmschiff gearbeitet. Das wusste sie aus ihren Gesprächen. Warum erzählte er nichts davon? Als sie an Julians schwarze Augen und seinen immer größeren Hass dachte, begann sie zu zittern. Plötzlich merkte sie, dass Dagmar sie musterte.
»Sie haben doch heute einen Termin bei Doktor Albrektson?«
Emelie nickte.
»Ich gehe nachher hin, damit er nachsieht, ob mit dem Kleinen oder der Kleinen alles in Ordnung ist.«
»Das ist ein typischer Jungenbauch.« Liebevoll blickte Dagmar auf Emelies runden Bauch.
»Haben Sie Kinder? Karl hat mir nie davon erzählt«, sagte Emelie. Sie war nicht mit Aufmerksamkeit verwöhnt worden und
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