Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
Monate nur halbtags arbeiten zu müssen.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Doch, so wahr mir Gott helfe. Und deshalb dürfen wir uns jetzt den ganzen Tag mit ihm herumschlagen. Wenigstens Ernst ist froh darüber. Mellberg hat ihn hier in der Dienststelle gelassen, während er sich um Leo gekümmert hat, und der Hund ist vor Sehnsucht schier vergangen. Er lag nur in seinem Körbchen und hat gewinselt.«
»In gewisser Hinsicht ist es ja auch schön, dass alles so wie immer ist«, sagte Patrik. Er ging zu seinem Zimmer und holte tief Luft, bevor er eintrat. Vielleicht konnte er beim Arbeiten den gestrigen Tag vergessen.
Sie wollte nie wieder aufstehen. Nur noch hier im Bett liegen und durch das Fenster in den Himmel schauen, der manchmal blau und manchmal grau war. Für einen Moment wünschte sie sich sogar zurück ins Krankenhaus. Dort war alles viel einfacher gewesen. So ruhig und friedlich. Alle gingen fürsorglich und rücksichtsvoll mit ihr um, sprachen leise und waren ihr beim Essen und Waschen behilflich. Hier zu Hause gab es so viele Dinge, die sie störten. Sie hörte, wie die Kinder spielten, ihr Geschrei schallte durchs ganze Haus. Manchmal kamen sie herein und sahen sie mit großen Augen an. Sie hatte das Gefühl, sie würden etwas von ihr verlangen, als wollten sie etwas von ihr, das sie ihnen nicht geben konnte.
»Schläfst du, Anna?«
Dans Stimme. Am liebsten hätte sie so getan, als schliefe sie, aber sie wusste, dass er sie durchschauen würde.
»Nein.«
»Ich habe eine Kleinigkeit zu essen gemacht. Tomatensuppe mit Toast und Frischkäse. Vielleicht hast du sogar Lust, herunterzukommen und mit uns zusammen zu essen? Die Kinder fragen nach dir.«
»Nein.«
»Willst du nicht essen oder nach unten kommen?«
Anna merkte, dass er enttäuscht war, aber es berührte sie nicht. Nichts berührte sie mehr. In ihrem Innern herrschte nur noch eine große Leere. Keine Tränen, keine Trauer, kein Zorn.
»Nein.«
»Du musst doch etwas essen. Du musst …« Seine Stimme überschlug sich. Er knallte das Tablett so heftig auf ihren Nachttisch, dass die Tomatensuppe überschwappte.
»Nein.«
»Ich habe auch ein Kind verloren. Und die Kinder ein Geschwisterchen. Wir brauchen dich. Wir …«
Sie hörte ihn um Worte ringen, doch in ihrem Kopf hatte nur ein Wort Platz. Ein einziges Wort hielt der Leere stand. Sie wandte sich ab.
»Nein.«
Nach einer Weile verließ Dan das Zimmer. Sie drehte sich wieder zum Fenster.
Sie machte sich Sorgen, weil er so abwesend wirkte.
»Mein Sam.« Sie wiegte ihn und strich ihm übers Haar. Er hatte noch immer kein Wort gesagt. Vielleicht sollte sie ihn zum Arzt bringen, dachte sie, schob den Gedanken aber sofort beiseite. Sie wollte jetzt niemand anderen in ihre Welt hereinlassen. Wenn er genug Ruhe bekam, wäre er sicher bald wieder der Alte.
»Möchtest du ein Mittagsschläfchen machen, Süßer?«
Er gab zwar keine Antwort, aber sie trug ihn trotzdem in sein Bett und deckte ihn zu. Dann kochte sie sich eine Kanne Kaffee, goss Kaffee und Milch in einen Becher und ging damit zum Steg. Es war noch immer ein schöner Tag. Sie genoss die wärmende Sonne auf ihrem Gesicht. Fredrik hatte die Sonne geliebt oder, besser gesagt, angebetet. Ständig hatte er sich darüber beklagt, dass es in Schweden so kalt war und so selten die Sonne schien.
Woher kamen plötzlich die Gedanken an ihn? Sie hatte sie doch in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins verdrängt. Er hatte keinen Platz mehr in ihrem Leben. Fredrik mit seinen ständigen Forderungen und seinem Bedürfnis, alles und jeden zu kontrollieren. Vor allem sie. Und Sam.
Hier auf Gråskär hatte er keine Spuren hinterlassen. Er hatte die Insel nie betreten, sie gehörte ihr allein. Er hatte nie hierher gewollt. »Keine zehn Pferde kriegen mich auf so eine beschissene Schäreninsel«, hatte er geantwortet, wenn sie ihn ganz selten darum bat. Sie war froh darüber. Die Insel war nicht von seiner Anwesenheit beschmutzt worden. Sie war rein und gehörte niemandem außer ihr und Sam.
Sie presste die Finger an den Kaffeebecher. Die Jahre waren schnell vergangen. Es war schnell bergab gegangen, und am Ende hatte sie festgesessen. Es gab keinen Ausweg und keine Möglichkeit zu fliehen. Außer Fredrik und Sam hatte sie niemanden gehabt. Wo hätte sie denn hingesollt?
Nun waren sie endlich frei. Sie spürte die salzige Meeresbrise im Gesicht. Sie hatten es geschafft. Sam und sie. Wenn er wieder gesund war, würden sie ihr eigenes
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