Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
Schlafzimmer. Verwundert ging sie zur Zimmertür. Normalerweise arbeitete Johanna um diese Zeit.
»Hallo«, sagte Paula. Ihr war mulmig zumute.
Irgendetwas stimmte nicht. Sie hatte nachts wach gelegen und Johannas Atemzügen gelauscht. Auch wenn Paula gemerkt hatte, dass Johanna ebenfalls nicht schlafen konnte, hatte sie nicht gewagt, sie anzusprechen. Sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich wissen wollte, was los war. Nun saß Johanna mit verzweifeltem Blick auf ihrem Bett. Am liebsten hätte Paula kehrtgemacht und wäre weggerannt. Die Gedanken rasten ihr wie wild durch den Kopf. In ihrer Vorstellung spielte sie alle möglichen Szenarien durch, aber keins davon wollte sie verwirklicht sehen. Nun standen Johanna und sie sich in einer leeren, stillen Wohnung gegenüber und konnten sich nicht hinter dem üblichen Trubel verstecken. Keine Hunde schwänzelten um sie herum. Keine Rita trällerte in der Küche und schäkerte mit Leo. Kein Mellberg gab frivole Kommentare zum Fernsehprogramm ab. Es herrschte Ruhe, und sie waren ganz allein.
»Was hast du eigentlich an?«, fragte Johanna schließlich und musterte Paula von Kopf bis Fuß.
»Ich bin ins Wasser geplumpst.« Paula blickte an dem hässlichen Fleecepullover hinunter, der ihr fast bis zu den Knien reichte. »Ich bin nur nach Hause gekommen, um mich umzuziehen.«
»Dann mach schnell. Wir müssen reden, aber solange du so aussiehst, kann ich kein ernstes Gespräch mit dir führen.« Johannas schiefes Grinsen verursachte Paula Bauchschmerzen. Sie liebte Johannas Lächeln, hatte es aber in letzter Zeit nur selten gesehen.
»Könntest du uns nicht währenddessen einen Tee machen?«
Johanna nickte und ließ Paula allein im Schlafzimmer zurück. Mit Händen, die vor Angst und Kälte ganz steif waren, zog die sich eine Jeans und ein weißes T-Shirt an. Dann holte sie tief Luft und ging in die Küche. Sie wollte dieses Gespräch nicht führen, aber es blieb ihr nichts anderes übrig. Nun hieß es Augen zu und durch.
Er hasste es, sie anzulügen. Lange Zeit war sie sein Ein und Alles gewesen, und es machte ihm Angst, dass er zum ersten Mal bereit war, alles zu opfern, was sie verband. Anders war vor Anstrengung außer Atem. Nach Mörhult ging es steil hinauf. Er hatte eine Weile weggemusst, fort von Vivianne. Es ließ sich nicht anders sagen.
Manchmal war die Vergangenheit zum Greifen nah. Dann war er immer noch fünf Jahre alt und lag dicht neben Vivianne unter dem Bett. Er hielt sich die Ohren zu, und sie legte den Arm um ihn. Unter diesem Bett hatten sie viel übers Überleben gelernt. Er wollte jedoch nicht nur überleben, sondern auch leben, und war sich nicht sicher, ob Vivianne ihm dabei half oder ob sie ihn davon abhielt.
Als ein Auto mit hoher Geschwindigkeit an ihm vorbeifuhr, musste er zur Seite springen. Das Badis lag hinter ihm. Ihr großes Projekt, die endgültige Befreiung. Erling hatte es ermöglicht. Und nun hatte der arme Teufel um Viviannes Hand angehalten.
Erling hatte ihn angerufen und für heute Abend zum Verlobungsessen eingeladen. Anders bezweifelte jedoch, dass Erling Vivianne in seine Pläne eingeweiht hatte. Insbesondere, dass dieser fette kleine Kommissar und seine Lebensgefährtin ebenfalls eingeladen waren. Er selbst hatte sich mit einer miesen Ausrede entschuldigt. Erling und Bertil Mellberg zusammen schienen ihm keinen gelungenen Abend zu versprechen. Außerdem kam es ihm in Anbetracht der Umstände seltsam vor, überhaupt zu feiern.
Allmählich ging es wieder bergab. Anders wusste gar nicht genau, wohin er lief, er hätte in jede Richtung gehen können. Er trat gegen einen Stein, der in den Straßengraben rollte. Genauso fühlte er sich im Moment. Immer schneller rutschte er einen Abhang hinunter, und die Frage war nur, in welchem Graben er landete. Es konnte nur böse enden, denn es gab keine guten Alternativen. Die ganze Nacht hatte er nicht schlafen können und sich den Kopf über eine Lösung, einen möglichen Kompromiss zerbrochen. Aber da war keine andere Wahl. Genau wie es damals, als sie unter dem Bett lagen und sich der Lattenrost in ihre Gesichter drückte, keinen Mittelweg gegeben hatte.
Auf dem Steg kurz vor der kleinen Steinbrücke, die übers Wasser führte, blieb er stehen. Die Schwäne ließen sich nicht blicken. Er hatte gehört, dass sie jedes Jahr ihr Nest rechts von der Brücke nutzten und gefährlich nah an der Straße ihre Jungen großzogen. Das Männchen und das Weibchen blieben offenbar ihr ganzes Leben
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