Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
zusammen. Das wünschte er sich auch. Bis jetzt hatte er jedoch nur seine Schwester gehabt. Natürlich nicht als Geliebte, aber als Weggefährtin. Mit ihr hatte er sein Leben verbracht.
Nun war alles anders. Er musste eine Entscheidung fällen, wusste aber nicht, wie. Nicht, solange er noch die Latten im Gesicht und Viviannes tröstenden Arm spürte. Nicht, solange er wusste, dass sie immer seine Beschützerin und seine beste Freundin gewesen war.
Beinahe hätten sie nicht überlebt. Der Schnaps und die Gerüche waren schon da gewesen, als ihre Mutter noch lebte. Damals hatte es jedoch noch Inseln aus Liebe gegeben, Momente, an die sie sich klammerten. Als ihre Mutter sich zur Flucht entschied und Olof sie mit einer leeren Pillenschachtel neben sich im Schlafzimmer fand, verschwanden die letzten Reste von Viviannes und Anders’ Kindheit. Er machte es ihnen zum Vorwurf und bestrafte sie hart. Jedes Mal, wenn die Tanten vom Jugendamt kamen, riss er sich zusammen und becircte sie mit seinen blauen Augen. Er zeigte ihnen die Wohnung und die Kinder. Vivianne und Anders starrten stumm auf ihre Schuhspitzen, während die Tanten ihn verführerisch anlächelten. Irgendwie hatte er immer in Erfahrung bringen können, dass sie im Anmarsch waren, und deshalb war die Wohnung sauber und ordentlich, wenn die Tanten ihm einen ganz spontanen Besuch abstatteten. Warum hatte er die Geschwister nicht einfach weggegeben, wenn er sie so hasste? Stundenlang malten Vivianne und Anders sich aus, was für tolle neue Eltern sie bekommen könnten, wenn Olof sie hätte gehen lassen.
Vermutlich wollte er sie in seiner Nähe haben und ihre Qualen miterleben. Am Ende würden sie ihn jedoch besiegen. Das war für sie der Antrieb, obwohl er schon seit vielen Jahren tot war. Ihm wollten sie ihren Erfolg beweisen. Und dieser Erfolg war jetzt in Reichweite. Sie durften nicht aufgeben, denn sonst würde Olof am Ende recht behalten: Sie seien der letzte Dreck, und es würde nie etwas aus ihnen werden, hatte er immer gesagt.
Von weitem sah Anders die Schwäne auf sich zukommen. Hinter dem stattlichen Elternpaar schaukelten die Kinder übers Wasser. Mit ihren flaumigen grauen Federn sahen sie niedlich aus und hatten noch kaum Ähnlichkeit mit den eleganten Vögeln, zu denen sie heranwachsen würden. Hatten er und Vivianne sich zu schönen großen Schwänen entwickelt, oder waren sie noch immer kleine graue Küken, die sich irgendwann verwandeln würden?
Er machte kehrt und stieg langsam den Abhang hinunter. Was immer er für eine Entscheidung fällte, er musste sich beeilen.
»Wir wissen über Madeleine Bescheid.« Unaufgefordert setzte sich Patrik vor Leilas Schreibtisch.
»Pardon?«
»Wir wissen über Madeleine Bescheid«, wiederholte Patrik ruhig. Gösta hatte auf dem Stuhl neben ihm Platz genommen, hielt den Blick aber gesenkt.
»Aha, was …?«, begann Leila. Ihre Mundwinkel zuckten leicht.
»Sie haben behauptet, mit uns zu kooperieren und uns alles zu sagen, was Sie wissen. Mittlerweile mussten wir erfahren, dass das nicht ganz der Wahrheit entspricht. Wir erwarten eine Erklärung.« Er drückte sich so streng wie möglich aus, und sein Ton schien die Wirkung nicht zu verfehlen.
»Ich dachte …« Leila schluckte. »Ich dachte, das wäre nicht relevant.«
»Einerseits glaube ich Ihnen das nicht, und andererseits ist es nicht Ihre Aufgabe, das zu beurteilen.« Patrik machte eine kurze Pause. »Was können Sie uns über Madeleine erzählen?«
Leila schwieg einen Augenblick. Dann stand sie abrupt auf und ging zum Bücherregal. Sie griff mit der Hand hinter die Bücher und angelte einen Schlüssel heraus. Dann ging sie vor ihrem Schreibtisch in die Hocke und schloss die unterste Schublade auf.
»Hier.« Mit verbissener Miene legte sie einen Hefter vor Patrik und Gösta.
»Was ist das?« Gösta beugte sich neugierig vor.
»Das ist die Akte von Madeleine. Sie ist eine der Frauen, die mehr Unterstützung brauchen, als unsere Gesellschaft ihnen bieten kann.«
»Und das bedeutet?« Patrik fing an zu blättern.
»Das bedeutet, dass wir in ihrem Fall den gesetzlichen Rahmen überschritten haben.« In Leilas Blick lag plötzlich eine ungewohnte Härte. Ihre Nervosität schien verflogen, und nun wirkte sie geradezu herausfordernd. »Einige Frauen, die zu uns kommen, haben schon alles versucht. Wir schöpfen ebenfalls jede Möglichkeit aus. Die Frauen werden jedoch von Männern bedroht, denen die Regeln in unserem Land offenbar vollkommen egal
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