Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
Ball, während er langsam auf sie zurollte. Sam hatte noch kein einziges Mal gespielt, seit sie auf der Insel waren. War er aufgewacht und zum Spielen nach oben gegangen? Ihr Herz klopfte ein paar Mal hoffnungsvoll, doch dann sah sie ein, dass es unmöglich war. Die Tür zu Sams Zimmer befand sich rechts von ihr, und der Ball war von links aus der Küche gekommen.
Vorsichtig stand sie auf und ging in die Küche. Einen Augenblick lang fürchtete sie sich vor den Schatten, die über Wände und Decke wanderten, aber die Angst verflüchtigte sich genauso schnell, wie sie sie gepackt hatte. Sie wurde ruhig. Es gab hier niemanden, der ihr etwas antun wollte. Das wusste sie sehr wohl, obwohl sie nicht hätte erklären können, woher oder warum.
Aus einer der dunklen Ecken in der Küche war ein Kichern zu hören. Sie blickte dorthin und sah ihn kurz vorüberhuschen. Einen Jungen. Bevor sie ihn sich genauer ansehen konnte, war er weitergelaufen. Er rannte zur Haustür, und sie folgte ihm, ohne nachzudenken. Hastig drückte sie die Klinke hinunter und fühlte den Wind im Gesicht, aber sie spürte auch, dass sie dem Jungen folgen sollte.
Er rannte auf den Leuchtturm zu. Manchmal drehte er sich um, als wollte er sich vergewissern, ob sie noch hinter ihm war. Der Sturm, der ihr fast den Atem nahm, wühlte in seinen Haaren.
Die Tür zum Leuchtturm war schwer, aber er war hier hineingerannt, und sie musste ihm nach. Sie raste die steile Treppe hinauf, hörte die Schritte und das Kichern des Jungen.
Als sie oben ankam, war der Raum leer. Wer immer der Junge gewesen sein mochte, er war verschwunden.
»Wie kommt ihr voran?« Erica kuschelte sich auf dem Sofa an Patrik.
Er war rechtzeitig zum Abendessen nach Hause gekommen, und nun schliefen die Kinder. Gähnend streckte sie die Beine aus und legte sie auf den Wohnzimmertisch.
»Müde?«, fragte Patrik. Er streichelte ihren Arm, sie wandte den Blick nicht vom Fernsehbildschirm ab.
»Bis ins Mark.«
»Dann geh ins Bett, Liebling.« Er küsste sie zerstreut auf die Wange.
»Das sollte ich wirklich tun, aber ich will nicht.« Sie sah ihn an. »Ich brauche auch ein bisschen kinderfreie Zeit, mit Patrik und den Nachrichten als Gegengewicht zu vollgekackten Windeln, vollgekotzten Jäckchen und dem ganzen Gebrabbel.«
Patrik drehte sich zu ihr um. »Alles in Ordnung?«
»Ja doch«, antwortete sie. »Es ist ganz anders als mit Maja. Trotzdem ist es mitunter etwas zu viel des Guten.«
»Nach dem Sommer übernehme ich, und du kannst schreiben.«
»Ich weiß. Außerdem liegen die ganzen Sommerferien dazwischen. Es ist alles im grünen Bereich, ich hatte nur einen anstrengenden Tag. Und das mit Matte ist so schrecklich. Eigentlich kannte ich ihn gar nicht, aber wir sind zumindest eine Zeitlang in dieselbe Klasse gegangen. In der Mittel-und Oberstufe.« Sie schwieg eine Weile. »Wie laufen denn nun die Ermittlungen? Du hast meine Frage gar nicht beantwortet.«
»Zäh.« Patrik seufzte. »Wir haben mit den Eltern und einigen Kollegen von Mats gesprochen, aber er scheint ein einsamer Wolf gewesen zu sein. Niemand kann etwas Interessantes über ihn berichten. Entweder ist er der größte Langweiler auf Erden oder …«
»Oder was?«, fragte Erica.
»Oder es gibt Dinge, von denen wir noch nichts wissen.«
»Mir kam er jedenfalls nicht langweilig vor, als wir zur Schule gingen. Eher kontaktfreudig und gut gelaunt. Er war ziemlich beliebt. Ein Typ, von dem man dachte, dass ihm alles glückt, was er sich vornimmt.«
»Warst du nicht in einer Klasse mit seiner Freundin?«
»Annie? Ja, stimmt. Aber sie …« Erica suchte nach den richtigen Worten. »Sie schien sich für etwas Besseres zu halten. Irgendwie passte sie nicht dazu. Versteh mich nicht falsch, sie war auch beliebt, und sie und Matte waren das perfekte Paar, aber ich hatte trotzdem immer das Gefühl, dass er … wie soll ich es ausdrücken? Irgendwie dackelte er treudoof hinter ihr her. Wenn sie ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte, wedelte er dankbar mit dem Schwanz. Niemand hat sich wirklich gewundert, als sie beschloss, nach Stockholm zu ziehen, und Matte hier zurückließ. Er war am Boden zerstört, glaube ich, aber erstaunt war er sicher auch nicht. Annie war jemand, den man nicht behalten konnte. Verstehst du, was ich damit sagen will, oder klingt das schwammig?«
»Nein, ich weiß, was du meinst.«
»Warum machst du dir über Annie Gedanken? Die beiden waren im Gymnasium zusammen, und auch wenn ich das nicht gern zugebe,
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