Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
aber in seiner Stimme hatten doch Wärme und Sehnsucht mitgeklungen. Oder hatte sie ihre eigenen Gefühle und Träume in ihn hineingelegt? Sie senkte den Blick.
»Sieh nur, was du angerichtet hast.« Klirrend ließ Julian sein Besteck auf den Teller fallen.
»Warum behandelst du mich so? Ich habe dir doch nichts Böses getan.« Emelie begriff selbst nicht, woher sie den Mut nahm, aber plötzlich schien alles aus ihr herauszuplatzen, was sie wie einen Klumpen in der Brust mit sich herumschleppte.
Julian antwortete nicht. Er starrte sie nur mit finsterem Blick an, stand auf und folgte Karl. Wenige Minuten später sah sie, dass das Boot vom Steg ablegte. Die beiden fuhren nach Fjällbacka. Eigentlich wusste sie, warum sie nicht mitdurfte. In Abelas Kneipe auf Florö, wo sie auf ihren Touren offenbar einkehrten, waren Ehefrauen nicht erwünscht. Vor dem Morgengrauen würden sie zurückkehren, sie schafften es immer, rechtzeitig am Leuchtturm zu sein.
Emelie schreckte hoch, als eine Schranktür zugeknallt wurde. Sie glaubte nicht, dass ihr jemand einen Schreck einjagen wollte, aber das half nichts. Die Haustür war zu, so dass auch kein Windstoß den Krach verursacht haben konnte. Sie stand ganz still, lauschte und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Nichts war zu sehen, es war niemand hier. Wenn sie ganz genau horchte, hörte sie aus der Ferne einen gedämpften Ton. Es waren Atemgeräusche, leise regelmäßige Atemzüge, allerdings war es nicht zu erkennen, aus welcher Richtung sie kamen. Sie schienen vom Haus selbst zu stammen. Emelie versuchte, herauszuhören, was sie von ihr wollten. Plötzlich verschwanden sie, und es war wieder still.
Emelies Gedanken wanderten zurück zu Karl und Julian. Bedrückt nahm sie den Abwasch in Angriff. Sie war eine gute Ehefrau und machte trotzdem alles falsch. Sie fühlte sich ungeheuer einsam. Gleichzeitig war sie das aber nicht. Sie nahm diese Gestalten immer deutlicher wahr. Sie hörte und fühlte Dinge, wie eben. Und sie hatte keine Angst mehr. Sie wollten ihr nichts antun.
Als sie sich über den Abwaschbottich beugte und ihre Tränen in die schmutzige Brühe tropften, spürte sie eine Hand auf der Schulter. Eine tröstende Hand. Sie drehte sich nicht um. Sie wusste, dass sie niemanden sehen würde.
P aula streckte sich im Bett aus und strich Johanna übers Haar. Sie ließ die Hand dort liegen. Die Berührung erfüllte sie mit Sorge. In den vergangenen Monaten hatte es sich fremd angefühlt, wenn sie sich anfassten. Da es nicht mehr von allein zu passieren schien, mussten sie sich bewusst dazu entscheiden, es zu tun. Sie liebten sich, aber alles war doch anders.
Eigentlich war es nicht erst in jüngster Zeit so. Wenn Paula ganz ehrlich war, hatte es mit Leos Geburt begonnen. Sie hatten sich nach ihm gesehnt und für ihn gekämpft. Sie hatten geglaubt, dass ein Kind ihre Liebe noch stärker machen würde. In gewisser Weise hatte es das auch getan, aber in anderer Hinsicht nicht. Sie selbst hatte nicht das Gefühl, sich sonderlich verändert zu haben, sie war noch dieselbe. Johanna dagegen war vollkommen in der Mutterrolle aufgegangen und behandelte sie hin und wieder sogar von oben herab. Paula schien gar nicht zu zählen, oder Johanna schien zumindest wichtiger zu sein, da sie Leo zur Welt gebracht hatte. Sie war die biologische Mutter von Leo. Von Paula hatte Leo kein einziges Gen bekommen, sondern nur die Liebe, die sie bereits empfunden hatte, als er noch in Johannas Bauch war, und die sich tausendfach verstärkte, als sie ihn endlich in den Armen halten durfte. Sie war genauso Leos Mutter wie Johanna. Das Problem war nur, dass Johanna nicht dieser Ansicht war, auch wenn sie es nicht zugab.
Paula hörte ihre Mutter, die in der Küche hantierte und mit Leo sprach. Die beiden verstanden sich ausgezeichnet. Rita war morgens früh auf den Beinen und stand gern mit Leo auf, so dass Paula und Johanna etwas länger schlafen konnten. Und da Paula wegen der Ermittlungen momentan nicht halbtags in Elternzeit gehen konnte, sprang Rita ein. Sogar Bertil hatte zum allgemeinen Erstaunen seine Hilfe angeboten. Doch in letzter Zeit hatte Johanna an Ritas Art, sich um das Kind zu kümmern, immer häufiger etwas auszusetzen gehabt. Niemand außer ihr schien zu wissen, wie man mit Leo umgehen musste.
Seufzend stellte Paula die Füße auf den Boden. Johanna bewegte sich unruhig hin und her, wachte aber nicht auf. Paula beugte sich vor und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Sie
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