Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
Schweiße ihres Angesichts von Hand. Ab und zu warf sie einen Blick auf das Haus, um sich zu vergewissern, dass Sam nicht aufgewacht und rausgelaufen war. Aber er schlief ungewöhnlich lange. Vielleicht stand er irgendwie unter Schock, und da würde es ihm bestimmt guttun, sich ordentlich auszuschlafen. Noch eine Stunde, beschloss sie, dann würde sie ihn wecken und dafür sorgen, dass er etwas aß.
Auf einmal wurde Annie klar, dass es wahrscheinlich gar nicht viel zu essen gab. Sie hängte die Wäsche auf die Leine vor dem Haus und ging hinein, um in den Schränken nachzusehen. Eine Dose mit Campbell’s Tomatensuppe und eine mit Würstchen der Marke Bullens Pilsnerkorv war alles, was sie entdeckte. An die Verfallsdaten wagte sie gar nicht zu denken. Andererseits hielten solche Lebensmittel angeblich ewig, und zumindest heute würden Sam und sie damit schon zurechtkommen.
In den Ort zu fahren reizte sie überhaupt nicht. Hier fühlte sie sich sicher. Sie wollte keine anderen Menschen sehen, sie wollte ihre Ruhe. Mit der Suppendose in der Hand überlegte Annie eine Weile. Es gab nur eine Lösung. Sie musste Gunnar anrufen. Er hatte sich nach dem Tod ihrer Eltern um das Haus gekümmert, und sie konnte ihn bestimmt auch jetzt um Hilfe bitten. Der Festnetzanschluss funktionierte nicht mehr, aber mit dem Handy hatte sie guten Empfang. Sie tippte seine Nummer ein.
»Sverin.«
Der Name weckte so viele Erinnerungen, dass Annie zusammenzuckte. Es dauerte einen Moment, bis sie sich so weit gefasst hatte, dass sie sprechen konnte.
»Hallo? Ist da jemand?«
»Ja, hallo, hier ist Annie.«
»Annie!«, rief Signe Sverin.
Annie lächelte. Sie hatte Signe und Gunnar immer geliebt, und ihre Liebe wurde erwidert.
»Bist du es, meine Süße? Rufst du aus Stockholm an?«
»Nein, ich bin auf der Insel.« Zu ihrem Erstaunen schnürte es ihr die Kehle zu. Sie hatte nur ein paar Stunden geschlafen, und wahrscheinlich machte die Müdigkeit sie so dünnhäutig. Sie räusperte sich. »Ich bin gestern angekommen.«
»Da hättest du uns vorwarnen sollen, Herzchen, dann wären wir rausgefahren und hätten alles saubergemacht. Es muss ja furchtbar aussehen und …«
»Das Putzen war nicht so wild«, unterbrach Annie zaghaft Signes Wortschwall. Sie hatte ganz vergessen, wie viel und vor allem wie schnell Signe redete. »Ihr habt hier draußen alles wunderbar in Ordnung gehalten. Und das bisschen Aufräumen und Waschen macht mir nichts aus.«
Signe schnaubte.
»Ich finde wirklich, du hättest uns um Hilfe bitten sollen. Gunnar und ich haben doch sowieso nichts Vernünftiges mehr zu tun. Wir haben nicht einmal Enkelkinder, um die wir uns kümmern können. Aber Matte ist wieder von Göteborg hierhergezogen. Er hat in Tanum eine Stelle bei der Gemeinde.«
»Das ist ja toll für euch. Wie ist es denn zu diesem Entschluss gekommen?« Sie sah Matte vor sich. Blond, braun gebrannt und immer gut gelaunt.
»Ich weiß nicht genau. Das ging recht schnell. Er hat etwas Schlimmes erlebt, und seitdem habe ich den Eindruck … ach, nichts. Kümmere dich nicht um ein altes Weib, das sich zu viele Gedanken macht. Was hast du auf dem Herzen, Annie? Können wir dir irgendwie behilflich sein? Hast du den kleinen Mann dabei? Es wäre so schön, ihn mal zu sehen.«
»Ja, Sam ist hier, aber er ist ein bisschen krank.«
Annie verstummte. Nichts hätte ihr mehr Freude bereitet, als Signe ihren Sohn zu zeigen. Aber erst mussten sie auf der Insel zur Ruhe kommen. Erst musste sie wissen, wie stark die jüngsten Ereignisse auf ihn gewirkt hatten.
»Genau deshalb wollte ich fragen, ob ihr mir bei einer Sache helfen könnt. Wir haben hier draußen nicht besonders viel zu essen, und ich wollte Sam noch nicht aus dem Bett reißen und mit ihm in den Ort …« Sie hatte den Satz noch nicht beendet, als Signe ihr ins Wort fiel.
»Du weißt doch, dass wir dir furchtbar gern helfen. Gunnar fährt am Nachmittag sowieso mit dem Boot raus, und ich kann gern für dich einkaufen gehen. Sag mir einfach, was ihr braucht.«
»Ich habe Bargeld hier, das ich Gunnar geben kann. Vielleicht habt ihr ja die Möglichkeit, bis dahin etwas für mich auszulegen.«
»Natürlich, Herzchen. So, was soll ich denn nun auf die Einkaufsliste schreiben?«
Vor ihrem geistigen Auge sah Annie, wie Signe ihre Lesebrille auf die Nasenspitze setzte und nach Stift und Papier griff. Dankbar ratterte Annie alles herunter, was ihr in den Sinn kam. Inklusive einer Tüte Süßigkeiten für Sam, denn
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