Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
nur den Stängel, den er mit der Faust umklammerte, als wollte er ihn langsam erwürgen. Ohne nachzudenken, hängte sie sich an seinen Arm und versuchte, ihm die Blume zu entreißen.
»Was erlaubst du dir?«
Bleich und mit dieser immer leicht seltsamen Mischung aus Hass und Verzweiflung im Blick hob er die Hand. Er schien zu hoffen, dass die Schläge seine eigenen Qualen lindern würden, wurde aber jedes Mal aufs Neue enttäuscht. Hätte sie doch nur gewusst, worin seine Qualen bestanden und warum es so aussah, als ob sie sie verursacht hätte.
Diesmal wich sie nicht aus, sondern wappnete sich innerlich und hielt ihm ihr Gesicht hin und wartete auf den schmerzhaften Schlag, der mit Sicherheit kommen würde. Mitten in der Bewegung hielt er jedoch inne. Verwundert sah sie ihn an und folgte dann seinem Blick, der in Richtung Fjällbacka aufs Meer gerichtet war.
»Irgendjemand ist auf dem Weg hierher.« Sie ließ Karls Arm los.
Während ihres bald einjährigen Aufenthalts auf der Insel hatten sie noch kein einziges Mal Besuch gehabt. Seit dem Tag, an dem sie in das Boot nach Gråskär gestiegen war, hatte sie außer Karl und Julian keine Menschenseele gesehen.
»Das sieht nach dem Pastor aus.« Langsam ließ Karl die Hand sinken, in der er die Stockrose hielt. Er betrachtete die Blume, als frage er sich, wie sie dorthin gekommen war. Dann warf er sie weg und wischte sich die Hände nervös am Hosenbein ab.
»Was kann der Pastor hier wollen?«
Emelie sah die Unruhe in seinem Blick und konnte für einen Moment ihre Schadenfreude nicht unterdrücken. Doch dann schalt sie sich deswegen. Karl war ihr Mann, und in der Bibel stand, dass eine Frau ihren Mann ehren sollte. Was immer er tat, wie auch immer er sie behandelte, sie musste sich an dieses Gebot halten.
Das Boot mit dem Pastor kam stetig näher. Als es nur noch wenige Hundert Meter vom Steg entfernt war, hob Karl zum Gruß die Hand und ging seinem Besucher entgegen. Emelies Herz klopfte wie wild. War es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, dass unerwartet der Pastor auftauchte? Schützend legte sie die Hand auf den Bauch. Auch sie wurde unruhig.
P atrik ärgerte sich, weil er am gestrigen Tag nicht viel geschafft hatte. Obwohl es Sonntag gewesen war, hatte er sich auf den Weg zur Dienststelle gemacht und dort den Diebstahl des Boots gemeldet. Er hatte überprüft, ob es bei eBay angeboten wurde, war allerdings nicht fündig geworden. Danach hatte er sich mit Paula unterhalten und sie gebeten, den Inhalt der Aktentasche durchzusehen. Auch er hatte kurz einen Blick hineingeworfen und festgestellt, dass sich neben einem Stoß Papier tatsächlich der Computer darin befand. Ausnahmsweise hatten sie in diesem Fall einmal Glück. In der Tasche war sogar ein Mobiltelefon.
Heute Morgen hatten er und Martin sich ganz früh ins Auto gesetzt, um nach Göteborg zu fahren. Sie hatten sich viel vorgenommen.
»Wo fangen wir an?«, fragte Martin. Er saß wie immer auf dem Beifahrersitz, obwohl er alles getan hatte, um Patrik davon zu überzeugen, dass er besser gefahren wäre.
»Beim Sozialamt, dachte ich. Ich habe dort am Freitag angerufen und gesagt, wir würden so gegen zehn kommen.«
»Und dann zu Freistatt ? Haben wir denn neue Fragen an die?«
»Ich hoffe, dass wir beim Sozialamt mehr über ihre Arbeit herausfinden und sich daraus vielleicht weitere Anhaltspunkte ergeben.«
»Was wusste denn Sverins frühere Freundin? Oder hatte er ihr nichts erzählt?« Martin behielt die Fahrbahn fest im Blick und klammerte sich instinktiv an den Haltegriff, als Patrik todesmutig einen Fernlaster überholte.
»Nein, das hat nicht viel gebracht. Abgesehen von der Aktentasche natürlich. Andererseits könnte die eine richtige Entdeckung sein, aber das wissen wir erst, wenn Paula sich alles genau angesehen hat. An den Computer selbst wagen wir uns nicht ran, weil wir mit Passwörtern und so Kram nicht umgehen können, den müssen wir weitergeben.«
»Wie hat Annie denn die Nachricht von seinem Tod aufgenommen?«
»Sie wirkte unheimlich erschüttert, machte aber generell einen ziemlich angeschlagenen Eindruck. Es war nicht leicht, an sie heranzukommen.«
»Musst du hier nicht abbiegen?« Martin zeigte auf die Abfahrt. Fluchend bog Patrik so scharf ab, dass der Wagen hinter ihnen beinahe mit ihnen kollidierte.
»Mann!«, zischte Martin, der ganz blass geworden war.
Zehn Minuten später waren sie beim Sozialamt angekommen, wo sie sofort der Leiter in Empfang nahm. Nach den
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