Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
würden.«
»Wie läuft das konkret ab, wenn Sie Institutionen wie Freistatt einschalten?«
»Wir melden uns dort«, sagte Sven. »Bei Freistatt haben wir meistens mit Leila Sundgren zu tun. Wir berichten mündlich von der Vorgeschichte und der augenblicklichen Situation der betreffenden Frau.«
»Kommt es vor, dass Freistatt nein sagt?« Patrik wechselte die Stellung. Der Stuhl war äußerst unbequem.
»Das ist noch nie passiert. Aus Rücksicht auf die Kinder, die sich in der Einrichtung aufhalten, werden keine Frauen mit Sucht-oder psychischen Problemen aufgenommen. Aber da wir das wissen, vermitteln wir ihnen auch keine derartigen Fälle. Für diese Frauen gibt es andere Unterkünfte. Nein, es wurde noch nie jemand abgelehnt.«
»Und was geschieht, wenn Freistatt den Fall übernimmt?«, fragte Patrik.
»Wir sprechen mit der Frau, stellen den Kontakt her und gehen dabei selbstverständlich so diskret wie möglich vor. Der Sinn der Sache ist schließlich, dass die Frauen dort sicher sind und nicht gefunden werden.«
»Wie geht es dann weiter? Bekommen Sie hier im Büro Schwierigkeiten? Ich könnte mir vorstellen, dass einige Männer ihre Wut an Ihnen auslassen, wenn Frau und Kinder verschwunden sind«, sagte Martin.
»Sie verschwinden ja nicht für immer. Das wäre ungesetzlich. Wir dürfen Kinder gar nicht vor ihrem Vater verstecken, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu verteidigen. Natürlich werden wir manchmal bedroht, und in regelmäßigen Abständen müssen wir die Polizei rufen, aber noch ist nichts Ernstes passiert; toi, toi, toi!«
»Und der weitere Verlauf?«, bohrte Martin weiter.
»Da der Fall bei uns verbleibt, befinden wir uns in ständigem Austausch mit unseren Kooperationspartnern. Ziel ist ja eine friedliche Lösung. In den meisten Fällen lässt sich die zwar nicht erreichen, aber es gibt auch Beispiele, wo es gelungen ist.«
»Ich habe von Frauen gehört, denen geholfen wurde, sich ins Ausland abzusetzen. Ist Ihnen das bekannt? Kommt es auch vor, dass Frauen ganz verschwinden?«
Sven wand sich ein wenig. »Da ich ebenfalls die Boulevardpresse verfolge, weiß ich, was Sie meinen. Es ist einige wenige Male vorgekommen, dass von uns betreute Frauen von der Bildfläche verschwunden sind. Wir haben aber keinerlei Beweise dafür, dass sie dabei unterstützt wurden. Insofern müssen wir davon ausgehen, dass sie sich aus eigenem Antrieb abgesetzt haben.«
»Und die inoffizielle Version?«
»Ganz unter uns gesagt, glaube ich, dass die betreffenden Frauen von einer dieser Einrichtungen Unterstützung erhalten haben. Doch was sollen wir machen, wenn wir es nicht beweisen können?«
»Ist denn eine der Frauen verschwunden, die Sie zu Freistatt geschickt haben?«
Sven schwieg eine Weile. Dann holte er tief Luft.
»Ja.«
Patrik beschloss, es dabei zu belassen. Es würde wahrscheinlich mehr bringen, wenn er sich mit weiteren Fragen direkt an Freistatt wandte. Da das Sozialamt nach dem Prinzip »Je weniger wir wissen, desto besser« vorzugehen schien, bezweifelte er, dass hier noch viel zu holen war.
»Dann bedanken wir uns bei Ihnen, dass Sie sich Zeit genommen haben. Hast du noch Fragen?« Er sah Martin an, der den Kopf schüttelte.
Auf dem Weg zum Auto verspürte Patrik ein Ziehen in der Brust. Er hatte nicht gewusst, dass so viele Frauen von zu Hause weglaufen mussten, und dabei hatten sie nur von den Klientinnen von Freistatt gehört. Das war erst die Spitze des Eisbergs.
Erica musste ständig an Annie denken. Sie hatte sich kaum verändert, war aber auf der anderen Seite ganz anders als früher. Ein blasser Abklatsch ihrer selbst und in gewisser Weise vollkommen abwesend. Obwohl sie noch genauso schön und unnahbar war wie früher, hatte sich der Glanz verflüchtigt, der sie in der Schulzeit umgeben hatte. Als hätte sie etwas verloren. Erica konnte es schwer beschreiben. Sie wusste nur, dass der Besuch bei Annie sie traurig gemacht hatte.
Sie schob die Zwillinge vor sich her und blieb auf dem Galärbacken mehrmals stehen.
»Mama müde?« Auf dem Kiddyboard, das am Kinderwagen hing, war Maja rundum zufrieden. Den Jungs waren gerade die Augen zugefallen. Mit etwas Glück würden sie eine Weile schlafen.
»Ja, Mama müde«, antwortete Erica. Sie atmete schwer, und aus ihrer Brust drang ein Pfeifen.
»Schneller, Mama!« Maja sprang auf und ab, um ein bisschen mitzuhelfen.
»Danke, meine Süße.« Erica nahm all ihre Kraft für das letzte Stück zusammen, das sie am
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