Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
üblichen Höflichkeitsfloskeln setzten sie sich an einen kleinen Konferenztisch. Sven Barkman war klein und schmächtig, und das schmale Gesicht wurde noch durch einen Spitzbart betont. Patrik hatte sofort das Bild von Professor Bienlein aus »Tim und Struppi« im Kopf, die Ähnlichkeit war verblüffend. Die Stimme passte jedoch überhaupt nicht zu Barkmans Aussehen, was nicht nur Patrik, sondern auch Martin verblüffte. Dieser kleine Mann hatte nämlich eine tiefe dunkle Stimme, die den gesamten Raum ausfüllte. Es hörte sich an, als wäre er ein guter Sänger, und als Patrik sich umsah, fand er diesen Gedanken bestätigt. Fotos, Diplome und Preise wiesen darauf hin, dass Sven Barkman im Chor sang. Patrik kannte den Namen zwar nicht, aber es war offensichtlich ein erfolgreicher Chor.
»Sie haben einige Fragen zu Freistatt .« Sven beugte sich über den Tisch. »Verraten Sie mir vielleicht, warum? Wir kontrollieren die Einrichtungen, mit denen wir in diesen Angelegenheiten zusammenarbeiten, äußerst sorgfältig, und sind natürlich ein wenig besorgt, wenn eine Anfrage von der Polizei kommt. Außerdem ist Freistatt , wie Sie vielleicht wissen, eine etwas ungewöhnliche Organisation, und daher sind wir in ihrem Fall besonders wachsam, um ehrlich zu sein.«
»Sie meinen, weil dort sowohl Frauen als auch Männer arbeiten?«, fragte Patrik.
»Ja, das ist sonst nicht üblich. Leila Sundgren hat sich mit diesem Experiment ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt, aber wir unterstützen sie.«
»Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung. Ein früherer Angestellter wurde ermordet, und deshalb versuchen wir, uns ein Bild von seinem Leben zu machen. Er hat bis vor vier Monaten bei Freistatt gearbeitet und in Anbetracht der Problematik, mit der sich die Einrichtung beschäftigt, wollten wir sie uns genauer ansehen. Wir haben jedoch absolut keinen Anlass zu der Annahme, sie würde ihre Arbeit nicht korrekt machen.«
»Das höre ich gern. Na, dann wollen wir mal sehen …« Leise summend überflog Sven die Unterlagen auf seinem Schreibtisch. »Ja, genau … hm, ja.«
Während Patrik und Martin geduldig warteten, redete er mit sich selbst.
»Doch, nun habe ich wieder ein klares Bild vor Augen. Ich musste nur ein paar Einzelheiten auffrischen. Wir arbeiten seit fünf Jahren mit Freistatt zusammen, im Grunde sogar schon seit fünfeinhalb Jahren, wenn man pingelig ist. Und genau das muss man bei Mordermittlungen sein, nehme ich an.« Er lachte ein dunkles, glucksendes Lachen. »Die Anzahl der Fälle, die wir an Freistatt vermittelt haben, ist stetig gestiegen. Natürlich haben wir langsam angefangen, weil wir zunächst wissen wollten, wie gut wir kooperieren. Im vergangenen Jahr kamen aus unserem Büro vier Frauen. Insgesamt kümmert sich Freistatt um etwa dreißig Frauen pro Jahr.« Er sah Patrik und Martin an und schien auf eine weitere Frage zu warten.
»Wie muss man sich den Ablauf vorstellen? Was für Fälle übergeben Sie an Freistatt ? Da es sich meines Erachtens um eine extreme Maßnahme handelt, nehme ich an, dass Sie zunächst andere Möglichkeiten ausprobieren«, sagte Martin.
»Ganz richtig. Wir haben oft mit solchen Angelegenheiten zu tun, und Organisationen wie Freistatt sind nur ein letzter Ausweg. Wir werden allerdings in äußerst unterschiedlichen Phasen eingeschaltet. Manchmal erfahren wir früh, dass es in einer Familie Probleme gibt, manchmal sind diese schon sehr weit fortgeschritten, wenn die Warnsignale uns erreichen.«
»Wie sieht ein typischer Fall aus?«
»Das ist schwer zu beantworten. Ich kann Ihnen aber ein Beispiel nennen. Wir bekommen einen Anruf von der Schule, weil es einem Kind nicht gut zu gehen scheint. Dann gehen wir der Sache nach und verschaffen uns unter anderem durch einen Hausbesuch bei der Familie recht schnell einen Eindruck von der Situation. Manchmal gibt es bereits Akten, auf die wir zurückgreifen können. Von Dingen, die uns bisher nicht aufgefallen sind.«
»Akten?«
»Möglicherweise gab es bereits Krankenhausaufenthalte, die in Kombination mit den Berichten von der Schule ein bestimmtes Muster erkennen lassen. Wir sammeln ganz einfach so viele Informationen wie möglich. Zunächst versuchen wir, mit der Familie in ihrem aktuellen Zustand zusammenzuarbeiten, wobei das Ergebnis mehr oder weniger positiv ausfällt. Wie gesagt, der Frau und den Kindern zur Flucht zu verhelfen ist immer der letzte Ausweg. Leider ist er nicht so ungewöhnlich, wie wir uns wünschen
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