Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
ihn fest, und obwohl sie kaum größer war als er, erschien sie ihm wie eine Gigantin, die ihm Geborgenheit schenkte und ihn vor allem Übel beschützte.
»Der Samstag war ein voller Erfolg!« Erling kam aus der Toilette und wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab. »Ich habe gerade mit Bertil gesprochen, er war hin und weg. Weißt du eigentlich, wie wunderbar du bist?«
Er setzte sich neben Vivianne und legte ihr mit einem gewissen Besitzerstolz den Arm um die Schultern. Dann drückte er ihr einen feuchten Kuss auf die Wange. Anders sah, dass sie sich beherrschen musste, um nicht vor Erling zurückzuweichen. Stattdessen lächelte sie freundlich und trank einen Schluck Tee aus dem Becher auf dem Tisch.
»Nur das Essen scheint ein Problem gewesen zu sein.« Eine tiefe Furche zeichnete sich zwischen Erlings Augenbrauen ab. »Bertil war nicht so zufrieden mit dem Speisenangebot. Ich weiß zwar nicht, ob die anderen der gleichen Ansicht sind, aber er gibt den Ton an, und wir sollten auf die Wünsche unserer Kunden hören.«
»Was genau hat ihm denn nicht gepasst?«, fragte Vivianne. Ihr Ton war eisig, doch Erling merkte das überhaupt nicht.
»Es gab wohl schrecklich viel Grünzeug und ein paar seltsame Dinge, wenn ich das richtig verstanden habe. Leider nicht genug Sauce. Deswegen hat Bertil vorgeschlagen, dass wir auch eine etwas traditionellere Karte mit ordentlicher Hausmannskost anbieten.« Erling strahlte vor Begeisterung und rechnete offenbar mit stehenden Ovationen.
Vivianne dagegen schien die Nase voll zu haben. Sie stand auf und sah Erling scharf an.
»Dein Aufenthalt im Seminarhotel war also reine Zeitverschwendung. Ich dachte, du hättest meine Philosophie verstanden und begriffen, was Körper und Seele guttut. In diesem Haus steht die Gesundheit im Mittelpunkt, und deswegen servieren wir hier nur Gerichte, die den Menschen mit positiver Kraft und Energie versorgen, und keinen Müll, der nur Herzinfarkte und Krebs verursacht.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und stürmte wütend davon. Ihr Zopf schlug im Rhythmus ihrer Schritte gegen ihren Rücken.
»Oje.« Erling war offensichtlich verblüfft über ihre Reaktion auf seinen Vorschlag. »Da bin ich wohl jemandem auf den Fuß getreten.«
»Das kannst du laut sagen«, erwiderte Anders trocken. Erling sollte doch machen, was er wollte. Bald würde das ohnehin keine Rolle mehr spielen. Dann packte Anders wieder die Angst. Er würde mit Vivianne reden müssen. Er musste ihr alles erzählen.
»Wonach suchen wir eigentlich?«, fragte Martin. Unsicher musterte er Patrik, der bedächtig den Kopf schüttelte.
»Ich weiß nicht genau. Wir sollten uns wahrscheinlich von unserer Intuition leiten lassen, einfach das Aktenmaterial lesen und für interessante Anhaltspunkte offen sein.«
Während sie in den Unterlagen blätterten, war es still.
»Mein Gott«, sagte Patrik nach einer Weile. Martin nickte.
»Das ist ausschließlich das vergangene Jahr. Oder noch nicht einmal das. Und Freistatt ist nur eins von mehreren Frauenhäusern. Wir leben bei uns wirklich wie in einem geschützten Raum.« Behutsam klappte Martin einen Hefter zu, legte ihn zur Seite und schlug den nächsten auf.
»Ich begreife das einfach nicht …« Patrik sprach den Gedanken aus, der ihm schon die ganze Zeit durch den Kopf ging.
»Was für feige Arschlöcher«, stimmte Martin ihm zu. »Und es scheint jeden treffen zu können. Ich bin Anna zwar noch nicht oft begegnet, aber sie wirkt eigentlich, als hätte sie Haare auf den Zähnen und würde nie im Leben unter die Knute von so einem Typen wie ihrem Exmann geraten können.«
»Völlig richtig.« Als Lucas zur Sprache kam, verdüsterte sich Patriks Miene. Diese Zeit lag nun Gott sei Dank hinter ihnen, aber vor seinem Tod hatte er seiner Familie großen Schaden zugefügt. »Es sagt sich so leicht, man könne nicht fassen, dass jemand bei einem Mann bleiben kann, der zuschlägt.«
Martin legte noch eine Mappe auf den Tisch und holte tief Luft.
»Ich frage mich, wie es für die ist, die hier arbeiten und täglich damit in Berührung kommen. Vielleicht ist es gar nicht so verwunderlich, dass Sverin irgendwann genug hatte und wieder nach Hause wollte.«
»Es ist bestimmt sinnvoll, dass sie regelmäßig die Ansprechpartner austauschen, wie Leila berichtet hat. Andernfalls wäre es doch vollkommen unmöglich, sich nicht persönlich zu engagieren.«
»Glaubst du etwa, dass Sverin das passiert ist?«, fragte Martin. »Dass die
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