Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
Freude, dass ihr das Stillen erspart blieb.
»Ganz ruhig«, sagte sie zu Noel.
Wie immer war er der Gefräßigere von beiden. Manchmal trank er so gierig, dass er sich verschluckte. Anton dagegen saugte viel langsamer und brauchte daher doppelt so lange, um seine Flasche zu leeren. Mit den beiden zufriedenen Babys im Arm kam Erica sich vor wie eine Supermama.
Beide betrachteten sie konzentriert, und bei dem Versuch, ihre Blicke zu erwidern, schielte sie beinahe. So viel Liebe auf einmal.
»Ist es jetzt besser? Meint ihr, Mama darf jetzt ihre Jacke ausziehen?« Sie lachte, als sie bemerkte, dass sie noch Schuhe und Mantel anhatte.
Sie packte jeden in seine Tragetasche, zog sich aus und trug die Kinder ins Wohnzimmer. Dann setzte sie sich aufs Sofa und legte die Füße auf den Tisch.
»Mama macht sich gleich ein bisschen nützlich, aber vorher muss Mama sich Oprah Winfrey anschauen.«
Die Jungen schienen sie gar nicht zu beachten.
»Langweilt ihr euch, wenn eure Schwester nicht da ist?«
Zu Beginn hatte sie Maja so oft wie möglich zu Hause behalten, aber nach einer Weile wurde das Mädchen langsam verrückt. Sie brauchte Kinder in ihrem Alter und sehnte sich nach dem Kindergarten. Das war nun etwas anderes als die grauenhafte Phase, als es jedes Mal einen kleinen Weltkrieg gab, wenn sie Maja im Kindergarten ablieferte.
»Wir könnten sie ja heute zeitig abholen. Was meint ihr?« Das Schweigen interpretierte sie als ein Ja. »Mama hat noch keinen Kaffee getrunken.« Sie stand auf. »Und ihr wisst, wie Mama ist, wenn sie ihren Kaffee nicht bekommt. Un poco loco , wie Papa immer sagt. Was allerdings nicht bedeutet, dass wir ihm alles glauben sollten.«
Lachend ging sie in die Küche und setzte Kaffee auf. Am Anrufbeantworter leuchtete eine Eins auf, die ihr beim Hereinkommen nicht aufgefallen war. Es hatte sich tatsächlich jemand die Mühe gemacht, eine Nachricht zu hinterlassen. Als sie die Stimme auf dem Band hörte, fiel ihr beinahe der Kaffeelöffel aus der Hand.
»Hallo, Schwesterchen. Ich bin’s. Anna. Falls du nicht noch mehr Schwestern hast. Ich bin ein bisschen kaputt und habe die hässlichste Frisur der Welt. Aber ich bin hier. Jedenfalls fast. Ich weiß, dass du bei mir warst, weil du dir Sorgen gemacht hast. Leider kann ich nicht versprechen, dass …« Die Stimme versagte. Sie war fremd und rau und spiegelte großen Schmerz wider. »Ich wollte nur sagen, dass ich jetzt hier bin.« Klick.
Einen Moment lang blieb Erica stocksteif stehen. Dann sank sie weinend zu Boden. Noch immer hielt sie krampfhaft die Kaffeedose umklammert.
»Musst du nicht bald zur Arbeit?« Rita, die Leo wickelte, sah Mellberg streng an.
»Ich arbeite heute Vormittag zu Hause.«
»Aha, du arbeitest also …« Rita warf einen bedeutungsschwangeren Blick auf den Fernseher. Es lief gerade eine Sendung über Freaks, die aus Schrott Maschinen bauten, mit denen sie anschließend Wettkämpfe veranstalteten.
»Ich sammle Kraft. Das ist auch wichtig. Polizisten bekommen leicht einen Burn-out.« Mellberg stemmte Leo in die Höhe, bis der Junge vor Lachen gluckste.
Rita war besänftigt. Sie konnte ihm einfach nichts übelnehmen. Natürlich war sie nicht blind: Er war ein Sturkopf, mitunter ein unheimlich grober Klotz und manchmal wie vernagelt. Außerdem rührte er über das Nötigste hinaus keinen Finger. Gleichzeitig sah sie aber auch seine andere Seite. Wie er strahlte, sobald Leo in der Nähe war, dass er nachts ohne Murren aufstand, wenn Leo schrie, und ihm jederzeit bereitwillig die Windel wechselte, dass er sie wie eine Königin behandelte und sie anhimmelte, als wäre sie ein Geschenk Gottes an den Mann. Er hatte sich sogar mit Leib und Seele auf das Salsatanzen eingelassen, das ihre absolute Leidenschaft war. Auf dem Parkett würde er es zwar nie zu besonderen Ehren bringen, konnte aber ganz manierlich führen, ohne ihre Füße allzu sehr zu malträtieren. Sie wusste auch, dass er seinen Sohn Simon von Herzen liebte. Der bald Siebzehnjährige war erst vor ein paar Jahren in sein Leben getreten, aber immer, wenn von ihm die Rede war, leuchteten Bertils Augen vor Stolz, und er rief seinen Sohn regelmäßig an, um ihm zu zeigen, dass er für ihn da war. Aus all diesen Gründen liebte sie Bertil so heiß und innig, dass sie manchmal das Gefühl hatte, es würde sie innerlich zerreißen.
Sie ging in die Küche. Während sie das Mittagessen vorbereitete, dachte sie voller Sorge an die jungen Frauen. Irgendetwas stimmte nicht,
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