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Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Titel: Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Winterson
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du ein bisschen geschlafen hast.«
    Er war mir sympathisch. Ich stellte mein Gepäck ab. Er reichte mir ein Bier. Wir kamen ins Gespräch.
    »Die Familie kommt aus Neuseeland«, sagte er. »Sie sind gute Arbeitgeber. Ich hab die ganze Welt bereist. Morgen segeln wir nach Capri. Schon mal auf Capri gewesen?«
    Ich wollte schon von einem gewissen Vogel erzählen, doch dann besann ich mich und stellte ihm ein paar Fragen.
    »Ich lass mich einfach treiben«, sagte er. »Schlechter Witz, ich weiß. Ich werd das ein paar Jahre machen, vielleicht lerne ich ja jemanden kennen und finde irgendwo einen Platz, woich leben will – vielleicht mache ich selbst was mit Schiffen, – wer weiß –, ich hab noch jede Menge Zeit.«
    »Musst du die ganze Nacht hier stehen?«
    »Die ganze Nacht.«
    »Und was hast du vorher gemacht?«
    »Ich war verheiratet. Dann war ich nicht mehr verheiratet. Reingelegt und rausgeschmissen. Kennst du das?«
    Ich kannte das.
    »Das war’s. Musste ich also wieder von vorn anfangen. Man muss positiv denken. Nicht zurückschauen. Keine Reue.«
     
    Das waren seine Worte. Er sprach sie wie ein Mantra. Ich fragte mich, wie oft er sich das täglich sagen musste, damit es wahr wurde. Er hatte sein Herz verbunden.
    Wie ich mein eigenes Herz verbinden soll, weiß ich nicht.
     
    Ich dankte ihm für das Bier und nahm mein Gepäck.
    »Sicher nicht hier ’ne Runde aufs Ohr hauen bis fünf?«
    Sicher. Es war keine Nacht für Abenteuer. Ich wollte zu dem Haus, das ich unbesehen vom Freund einer Freundin gemietet hatte. Ich hatte die Schlüssel, aber keine Anweisungen – genau wie im richtigen Leben –, und während ich mich zu Fuß die steile weiß gestrichene Treppe hochschleppte, sahen mir die alten griechischen Frauen nach und grüßten hin und wieder mit einem
Kalispera.
    Schweißgebadet und gebeutelt von meinem Gepäck, fand ich endlich die schwere braune Tür meines Hauses. Ich schob mich hinein und schreckte dabei eine winzige Katze auf, die wie das Glück von der Bildfläche verschwand, und im Licht meiner Streichhölzer lief ich über das geisterhaft leuchtende Weiß des Fußbodens, auf der Suche nach dem Lichtschalter.
    Ich konnte ihn nicht finden, also stellte ich mein Gepäck ab, zündete eine Kerze an und zog die mitgebrachte FlascheWein, Brot, Olivenöl und Wurst hervor. Ich fand ein stumpfes Messer (warum sind Messer eigentlich immer stumpf?), einen Teller und ein Glas und setzte mich erschöpft auf das flache Dach, von dem der Blick nach unten und übers Meer ging.
    Die Nacht war sehr still; Hundegebell und die schneidenden Geräusche von Fledermäusen in der Luft, aber keine menschlichen Laute, bis auf den Fernseher, ganz schwach, aus dem dahinter liegenden Haus, wo ich ein Kruzifix an der Wand und eine alte Frau erkannte, die sich gerade ihr Nachthemd überzog.
    Ich entkorkte den Wein. Er war stark und gut. Langsam fühlte ich mich besser.
    Die Steine unter meinen Füßen waren warm. Die alte Frau aus dem hinteren Haus tauchte auf, um ihre Tomatenpflanzen zu gießen. Ich hörte das Fauchen des Wasserschlauchs und die Stimme ihrer Schwester, die sich aus dem Inneren des Hauses mit ihr unterhielt. Die Schwester hatte sich ins Bett gelegt, schaute fern und rief alle Neuigkeiten hinaus. Ich roch Sardinen auf einem Grill, und in den Bergen fingen die Nachthunde an zu bellen – das Wuffwuff sprang von den Betonwänden zurück.
    Wuff, wuff, wuff, wuff,
nie ganz auszumachen, von wo genau das Bellen kam. Nie ganz auszumachen, von wo die Geräusche der Nacht kommen.
     
    Nach dem sprechenden Vogel wollte der nette Mann aus der Travistock-Klinik immer wieder von mir wissen, warum ich auf den Diebstahl von Büchern und Vögeln abonniert sei, obwohl ich doch nur je ein Buch und einen Vogel gestohlen hatte.
    Ich sagte ihm, es sei mir um Sinnsuche gegangen, worauf er sehr höflich andeutete, dass das durchaus eine Art Psychose sein könne.
    »Sinnsuche halten Sie für eine Psychose?«
    »Eine obsessive Sinnsuche auf Kosten einer normalen Lebensgestaltung könnte eine Psychose darstellen, ja.«
    »Ich akzeptiere nicht, dass sich das Leben normal gestalten lässt, dass das Leben, egal, wie man’s gestaltet, auch nur in irgendeiner Weise normal sei. Wir machen daraus etwas Normales, aber es ist nichts Normales.«
    Er drehte seinen Bleistift zwischen Daumen und Finger. Seine Fingernägel waren sehr sauber.
    »Ich stelle nur ein paar Fragen.«
    »Ich auch.«
    Es entstand eine Pause.
    »Wie würden Sie Psychose

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