Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)
ich, dass die wirklichen Dingeim Leben, die Dinge, an die ich mich erinnere, die Dinge, die ich in meinen Händen hin und her wende, keine Häuser sind, keine Bankkonten, keine Preise und Beförderungen. Woran ich mich erinnere, ist die Liebe – die Liebe zu allem –, die Liebe zu diesem staubigen Pfad, diesem Sonnenaufgang, die Liebe zu einem Tag am Fluss, dem Fremden, dem ich im Café begegnete. Sogar die Liebe zu mir selbst, wobei das Selbst von allem am schwersten zu lieben ist, denn Liebe und Egoismus sind nicht dasselbe. Egoistisch zu sein ist einfach. Diejenige zu lieben, die ich bin, ist schwer. Kein Wunder, dass ich erstaunt bin, wenn du es tust.
Am Ende aber obsiegt die Liebe. Auf dieser glühenden Straße, umzäunt von Stacheldraht, damit die Ziegen nicht davonstreunen, finde ich für kurze Zeit das, weswegen ich hergekommen bin – ein sicheres Zeichen dafür, dass ich es sofort wieder verlieren werde.
Ich fühlte mich ganz.
Ich klingelte an der Tür des Klosters und las dabei den Zettel, auf dem man um Geduld bat.
Irgendwann ging die Tür über dem hölzernen Gitter auf, und ich sah das Gesicht einer Nonne. Sie schob die Riegel zurück und geleitete mich mit freundlichen, mir unverständ-lichen Worten hinein. Sie zog ein Tuch unter ihrem Gürtel hervor und staubte damit einen Stuhl ab, der ohnehin völlig staubfrei war. Ich setzte mich, und sie verbeugte sich und machte dabei Trinkbewegungen, also nickte und lächelte ich, und sie brachte mir ein Tablett mit tiefschwarzem Kaffee, zartgoldenen Plätzchen und Rosengelee aus ihrem Garten.
Zwei Tassen standen auf dem Tablett. Erst dachte ich, die Nonne wolle mir Gesellschaft leisten, aber sie zog sich zurück. Ich nahm etwas Geld für eine Spende heraus und ging zu der Kapelle. Da kniete eine Frau im Gebet.
»Entschuldigung«, sagte ich. »Ich wollte nicht stören.«
Du lächeltest, erhobst dich und tratest hinaus in die Sonne. Vielleicht war es das Licht auf deinem Gesicht, aber ich hatte das Gefühl, dir vor langer Zeit schon einmal begegnet zu sein, tief unten, irgendwo am Grund des Meeres. Irgendwo in mir.
Manchmal ist das Feuer stark genug, um bis auf den Meeresgrund zu reichen.
»Ich glaube, der Kaffee ist auch für Sie«, sagte ich.
Du nahmst Platz, und ich bemerkte deine Hände – lange Finger mit stark betonten Gelenken; was würde geschehen, wenn du mich damit berührtest?
Fremden gegenüber bin ich schüchtern – all die Jahre allein mit Pew auf dem Felsen. Unser einziger Besucher war Miss Pinch, und die war für die Menschheit nicht repräsentativ.
Wenn ich heute also jemanden kennen lerne, tu ich das Einzige, was ich kann:
Ich erzähle dir eine Geschichte.
Pew
und ich saßen auf dem Boden vor dem Holzofen. Wir waren damit beschäftigt, die beweglichen Teile der Instrumente zu ölen und zu säubern. Pew hatte die Messingknäufe und Schiebeplatten abgeschraubt, Glas herausgehoben und die feinfühligen Zeiger entfernt, die über dem Auf und Ab der See und des Windes schwebten.
An jedem Winterbeginn öffnete er sämtliche Instrumentenschränke und lockerte die Schrauben und Muttern, um die Mechanik mit einem einzigen Tropfen durchsichtigen Öls zu säubern.
Er hatte niemals sehen brauchen, um zu wissen, was er tat. Ein Pew kann das, sagte er, genau wie ein Fisch schwimmen kann. Die Pews waren die geborenen Leuchtturmwärter, also lebten sie als Leuchtturmwärter.
Wie man sich vorstellen kann, lief es merkwürdig ab, als der alte Josiah Dark nach seinem ersten Mann auf Suche ging.
Immer wenn der alte Dark in der Klemme saß, ging er mit einem Spaziergang dagegen an. Er glaubte daran, dass eine Art Bewegung eine andere begünstigen könne. Also marschierte und marschierte er an jenem Tag in Salts, und siehe da, er stieß dabei auf einen Mann, der Spinnweben sammelte.
Das Erste, was Josiah an dem Mann auffiel, waren seine Finger: lang wie Spinnenbeine, mit stark betonten Gelenken.Der Mann war dabei, Spinnweben von den Baumhecken zu klauben und in einen Rahmen zu spannen, den er sich aus Baumheckenholz gezimmert hatte. Er hatte eine Methode ersonnen, Spinnweben zu konservieren, und verkaufte die Weben für teures Geld an die Seeleute, die ihren Frauen daheim etwas Besonderes mitbringen wollten.
»Wie heißt Ihr?«, sagte Josiah.
»Pew.«
»Wo ist Euer Quartier?«
»Mal hier, mal dort, weder hier noch dort, und je nach Saison woanders.«
»Habt Ihr eine Frau?«
»Keine, die mich bei Tageslicht kennen würde.«
Also
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