Der Lichtritter: 1 (Oleipheas Schicksal) (German Edition)
weiß, dass Horald sehr viel Wert
auf seinen Schreibtisch gelegt hat. Er war für ihn sein wichtigstes Mobiliar,
da ursprünglich der Tisch für seine Gattin angefertigt worden war, aber nach
ihrem Tod war es die einzige Erinnerung, die ihm an sie geblieben war.
Gefertigt wurde der hölzerne Tisch von zwei tüchtigen Männern. Der eine war
Schreiner und sein Bruder war Schmied. Der Name des Schmiedes, der die mit
großer Sorgfalt vergoldeten Griffe des Schreibtisches hergestellt hat, war
Gelean. In jeden dieser Griffe sind zwei verschnörkelte Herzen eingraviert, die
für die Liebe zwischen Horald und seiner Frau Eleonore stehen. Und jener Name
des Schmiedes steht mit derselben Schrift, wie sie auch schon auf dem Zettel
geschrieben war, auf dem Gemälde direkt neben dem Ring. Es lag also nahe, dass
Horald den Ring in einem der Griffe versteckt hat. Ich musste nur noch den Griff finden, der sich leicht
herausdrehen ließ“, beendete Thalon seine Erklärung, während Emilia nur den
Kopf schüttelte. „Aber woher hast du gewusst, dass der Name des Schmiedes
Gelean war?“, hakte Emilia weiter nach. „Mein Meister hat mir oft von den
Geschehnissen am Hofe erzählt. Unter anderem auch die Geschichte über die
Bedeutung des Schreibtisches“, erläuterte er, Emilia freundlich zuzwinkernd.
„Mein nächster Orientierungspunkt ist es nun, den Eingang zur geheimen
unterirdischen Bibliothek zu finden“, sprach er in Gedanken. „Mit der Karte von
Anthlo sollte die Suche nach dem Eingang überschaubarer werden“, fügte er
seinen Gedanken hinzu, während er den Ring in seinen Reisebeutel steckte, bedacht
dabei, ihn so zu platzieren, dass er nicht einfach herausfallen konnte.
„Thalon, pass auf!“, ertönte plötzlich Emilias schrille Stimme und Thalon
blickte sich geschwind um und sah mit Erschrecken, dass zwei der Wachen in den
Raum getreten waren und eine von ihnen Emilia fest hielt, während die andere,
das glänzende Schwert gezogen, mit gemächlichen Schritten auf Thalon zu kam.
„Lasst das Mädchen los! Es geht euch doch nur um mich!“, knurrte Thalon
finster, selbst die Hand zum Schwert greifend. „Lasst Euer Schwert stecken und
ergebt Euch lieber, sonst stirbt die Kleine!“, befahl eine der Wachen grimmig.
Als Thalon Emilia in die Augen blickte, nahm er wahr, dass das Mädchen zum
ersten Mal in ihrem Leben Angst verspürte.
Man hatte ihr einen abscheulich schmeckenden
Trank verabreicht, der ihre Krankheit mildern sollte, was in der Tat auch
geschah, allerdings spürte sie auch, dass mit der Krankheit ihre magische Kraft
schwand. Man wollte damit anscheinend jegliche Fluchtversuche von ihr
vermeiden.
Sie hatten die Hütte des alten Mannes bereits
wieder verlassen und waren nun hinüber zu der Kapelle gegangen. Jetzt erst
fielen ihr die kleinen Steinfigürchen auf, die auf Sockeln vor dem Eingang
standen. Sie stellten ein seltsam aussehendes menschenähnliches Wesen mit
knochigen Gliedmaßen und Hörnern, ähnlich denen eines Widders dar. Vermutlich
handelte es sich dabei um die Darstellung irgendeines Dämonen, der in
vergangener Zeit in dem ehemaligen Dörfchen verehrt wurde. Einen längeren und
genaueren Blick auf die Figuren zu werfen wurde ihr nicht gewährt, da man sie
unsanft voran drückte, hinein in den düsteren Schlund der zweckentfremdeten
Kapelle. Es war seltsam, sich nun an dem Ort zu befinden, der schon in Anthlos
Erzählungen keinen friedfertigen Eindruck gemacht hatte. Den mächtigen
Steinaltar, auf dem Anthlos zweites Leben begonnen hatte, nun direkt vor sich
zu sehen, war unheimlich. Sie fühlte sich in der großen Halle inmitten den
Mitgliedern des Zirkels, die teilweise in ihren schwarzen Kutten an ihr vorbeihuschten
und sie dabei mit düsteren Blicken durchbohrten. Lewias Blick traf sich mit dem
einer scheinbar jungen Frau, die nach Lewias Vorstellungen noch viel zu jung
war, um ihr Leben in solch einer fanatischen Einrichtung zu verbringen. Der
Blickkontakt zerriss, als die Schatten, die sie gefangen genommen hatten, sie
erneut grob vorwärts drängten. Durch einen langen Korridor an dessen Wänden
sich teilweise Risse in dem alten Stein gebildet hatten und der stetig weiter
in die Tiefe führte, kamen sie schließlich in einen engen schmutzigen Raum. In
der Kammer, in der deutlich der Gestank von Tod und Verfaultem in Lewias Nase
stieg, sodass Lewia reflexartig die Luft anhielt, entzündete einer der Schatten
die Fackeln an den Wänden. Das flimmernde Licht der Flammen warf
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