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Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht

Titel: Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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⊃Old House⊂ zu sehen war.
    Er gab ihr fünf Minuten, dann schlug er den gleichen Weg ein, den sie genommen hatte. Er führte ihn auf einen kleinen gepflasterten Innenhof, dessen Mitte ein vierekkiger künstlicher Teich einnahm. Unter den leuchtenden Flößen der Lilienblätter schwammen Karpfen in dem dunklen klaren Wasser.
    Die den Hof säumenden Bäume spendeten viel Schatten. Ihre Wurzeln hatten den Rabatten die Nährstoffe entzogen, denn außer ein paar kränklichen, blütenlosen Pflanzen, die sich verzweifelt einem Platz an der Sonne entgegenreckten, wuchs dort nichts. Mrs. Cantrip mußte durch die angelehnte Eichentür in das uralte Haus gegangen sein, das auf Wexford den Eindruck machte, als zähle es mindestens vierhundert Jahre. Neben der Stufe stand ein Fußabstreifer, ein Hahn mit ausgebreiteten Flügeln aus schwarzem Metall. Wexford ließ den Blick über die mit Kletterpflanzen überwucherten Gitterfenster nach oben schweifen und entdeckte dabei sein Gegenstück, einen krähenden Hahn auf der Wetterfahne.
    Als er ins Haus trat, fiel ihm auf, daß der Wind sich gelegt hatte.

4
    Der Raum, in dem sich Wexford wiederfand, wurde offenbar als Lager genutzt. An den Wänden waren Birkenklötze zu Pyramiden aufgeschichtet; die darüber angebrachten Regale erwarteten die Apfel- und Birnenernte des Guts. Alles machte einen sehr sauberen und ordentlichen Eindruck.
    Da es hier unten kein anderes Zimmer und auch sonst keinen Anhaltspunkt gab, der auf Denys Villiers’ Gewerbe hätte schließen lassen, ging Wexford die Treppe hinauf. Auch sie war aus Eiche und führte in einer Art steil ansteigenden Gang in der dicken Mauer nach oben. Hinter der Tür am Treppenaustritt drang leises Stimmengemurmel zu ihm hervor. Er klopfte. Mrs. Cantrip öffnete die Tür einen Spalt breit und flüsterte:
    »Ich hab’s ihm beigebracht. Brauchen Sie mich noch?«
    »Nein, danke, Mrs. Cantrip.«
    Sie kam mit hochrotem Gesicht heraus. Ein Sonnenstrahl bohrte sich in das Düster des unteren Raums, als sie die Tür öffnete und hinausging. Wexford zögerte kurz, dann ging er in Villiers’ Schreibzimmer.
    Der Lehrer für klassische Philologie blieb an seinem Schreibtisch sitzen, doch er wandte Wexford das Gesicht zu, auf dem sich nüchterner Ernst abzeichnete, und sagte: »Guten Morgen, Chief Inspector. Was kann ich für Sie tun?«
    »Das ist eine böse Geschichte, Mr. Villiers. Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Nur ein paar Fragen, wenn es Ihnen recht ist.«
    »Gewiß. Möchten Sie nicht Platz nehmen?«
    Ein großes, ein wenig kühles Zimmer mit dunklen Holzpaneelen. Die Fenster waren klein, und wegen der Blattbüschel drang nur wenig Licht nach innen. Auf dem Boden lag ein quadratischer Teppich. Das Mobiliar, ein mit Haartuch bezogenes Sofa, zwei viktorianische Lehnstühle mit ledernen Sitzflächen und ein Klapptisch, war offenbar aus dem eigentlichen Herrenhaus verbannt worden. Auf Villiers’ Schreibtisch breitete sich ein wüstes Durcheinander aus Papieren, aufgeschlagenen Lexika, Schachteln mit Heftklammern, Kugelschreibern und leeren Zigarettenschachteln aus. An einem Ende lag ein Stapel Bücher, alle identisch mit dem, das Wexford auf Nightingales Nachttisch gesehen hatte: Der verliebte Wordsworth, von Denys Villiers, Verfasser von Wordsworth in Grasmere und Zu zeigen Schönres nicht.
    Ehe er sich setzte, nahm Wexford das oberste dieser Bücher zur Hand, so wie er auch schon das Exemplar in dem Schlafzimmer kurz angesehen hatte, doch statt rasch den Text auf dem Schutzumschlag zu überfliegen, drehte er es um und betrachtete Villiers’ Porträt auf der Rückseite. Das Foto war entweder sehr schmeichelhaft oder vor langer Zeit entstanden.
    Sein Gegenüber, der diese Musterung ungerührt über sich ergehen ließ, schien Ende Vierzig zu sein. Früher, dachte Wexford, mußte er attraktiv und gutaussehend gewirkt haben und seiner toten Schwester verblüffend ähnlich gewesen sein, doch Zeit oder Krankheit vielleicht hatten dies fast spurlos getilgt. Ja, wahrscheinlich eine Krankheit. Krebskranke Männer sahen aus wie Villiers. In ihren Gesichtern hatte Wexford den gleichen faden, ausgedörrten Ausdruck gesehen, gelblich graue, abgehärmte Gesichter, blaue Augen, die zu einem öden Grau ausgebleicht waren. Villiers war spindeldürr und hatte blutleere Lippen.
    »Ich bin mir darüber im klaren, daß dies ein schwerer Schlag für Sie sein muß«, begann Wexford. »Es ist bedauerlich, daß Sie nicht früher davon erfahren

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