Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
Beleibtheit nicht in Mitleidenschaft gezogen. Man hatte den Eindruck, das Fett sei bis zum Hals gekrochen, wo es zum Stillstand gekommen war, vielleicht eingeschüchtert von der in dem energischen glatten Kinn enthaltenen Drohung.
Ihr Körper war gewaltig, übte jedoch einen gewissen derben Reiz aus, da die ungeheuren Fettpolster an den richtigen Stellen saßen. Der Busen, einer archaischen Göttin würdig und einhundertfünfzig Zentimeter weit, doch mit einem erkennbaren Spalt in der Mitte, entsprach dem Umfang der riesigen Hüften. Wie Nelleke mangelte es auch Mrs. Lovell an Hemmungen, und als sie sich setzte, rutschte ihre ohnehin schon tief ausgeschnittene Bluse noch fünf Zentimeter tiefer, was mit dem Höherrutschen des knallengen schwarzen Rocks über ihre Knie einherging. In der Meinung, für diesen Nachmittag seinen Bedarf an femininer Fleischesfülle gedeckt zu haben - außerdem hätte dem Fleisch in diesem Fall ein Bad nichts geschadet -, sah Wexford zur Seite.
»Wir führen lediglich Routineermittlungen durch, Mrs. Lovell«, sagte er. »Würden Sie so freundlich sein, mir zu sagen, wie Ihr Sohn den gestrigen Abend verbracht hat?«
»Er hat seinen Tee getrunken«, erwiderte sie. »Dann saß er vorm Fernseher. Seine Lordschaft ist ganz wild aufs Fernsehen, und weshalb auch nicht, schließlich zahlt er die Gebühren.«
»Ja, weshalb auch nicht? Aber nach halb zehn hat er nicht mehr ferngesehen nicht wahr?«
Mrs. Lovell sah von Wexford zu Burden. Es war offensichtlich, daß sie überlegte, ob sie lügen oder die Wahrheit sagen solle, und wenn sie sich für letzteres entschied, so vielleicht nur, weil die Wahrheit zu sagen immer einfacher ist. Ihre ganze Erscheinung und der Zustand des Hauses ließen auf enorme Faulheit und äußerste Trägheit schließen. Auch mit Worten schien sie zu geizen. »Er ging aus«, sagte sie schließlich.
»Wohin ist er gegangen?«
»Ich hab ihn nicht gefragt. Ich mische mich nicht in seinen Kram...« Sie zupfte an einem abgekauten Daumennagel herum. »... und er mischt sich nicht in meinen. So halte ich’s schon immer. Vielleicht ist er rüber zum Schuppen gegangen. Er verbringt ziemlich viel Zeit im Schuppen.«
»Und was tut er da, Mrs. Lovell?«
»Seine Lordschaft hat dort seine Platten.«
»Aber seine Schallplatten kann er doch bestimmt auch im Haus hören, oder?« fragte Burden.
»Wenn er will, kann er das.« Mrs. Lovell kaute an einem Niednagel. »Ist mir so oder so egal. Ich misch mich nicht bei ihm ein und er nicht bei mir.«
»Um wieviel Uhr kam er zurück?«
“Ich hab ihn nicht kommen hören. Gegen sieben kam mein Freund. Sean und er vertragen sich nicht sonderlich. Deshalb hat seine Lordschaft sich wohl auch zum Schuppen begeben, schätze ich. Als mein Freund aus dem Haus ging, war er noch nicht wieder da, das muß so um halb elf gewesen sein - aber wie ich schon sagte, ich misch mich nicht bei ihm ein, und er...«
»Ja, ja, verstehe. Ich glaube, Sean hatte Mrs. Nightingale sehr gern?«
»Sie können glauben, was Sie wollen.« Mrs. Lovell gähnte herzhaft, wobei kleine spitze Zähne zum Vorschein kamen. »Leben und leben lassen, das ist meine Devise. Die vom Herrenhaus mischte sich immer gern in fremder Leute Angelegenheiten und wollte helfen. Setzte seiner Lordschaft ein paar gewaltige Flöhe ins Ohr.« Sie streckte die Arme über den Kopf, gähnte noch einmal und legte die Beine aufs Sofa. Wexford mußte an eine dicke behäbige Katze denken, die sich schnurrend das Fell leckt und nichts merkt von dem Schmutz, in dem sie lebt.
»Was für Flöhe denn?« fragte er.
“Daß er ins Showgeschäft einsteigen könne, als Sänger und so was. Ich hab nie darauf geachtet. Vielleicht hatte sie ihn gern. Ich hab nie gefragt.«
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir das Haus durchsuchten?«
Zum erstenmal lächelte sie und legte unvermutet ironischen Humor an den Tag. »Suchen Sie, soviel Sie wollen«, sagte sie. »Lieber Sie als ich.«
»Ein deprimierendes Erlebnis«, meinte Wexford, als sie zum Wagen zurückgingen. Ein ziemlich blasser Bryant folgte ihnen in einiger Entfernung.
»So etwas ist mir in meiner ganzen Dienstzeit noch nicht passiert«, ereiferte sich Burden. »Mich juckt’s von oben bis unten.«Er zappelte in seinem Anzug herum und kratzte sich am Kopf.
»Ihre junge Freundin hat Sie jedenfalls gewarnt.«
Darauf ging Burden nicht ein. »Die Betten!« sagte er. »Und diese Küche!«
»Ich gebe zu, damit habe ich nicht gerechnet«, pflichtete
Weitere Kostenlose Bücher