Der Liebe eine Stimme geben
Hoffnung, es könnte ihre Rettung sein. Es hat einen Rundhalsausschnitt, kurze Ärmel, eine Empire-Taille, mit einem fließenden Rock, der ihr bis knapp übers Knie reicht. Es ist gar nicht schlecht. Eigentlich ist es sogar ganz niedlich. Sie hält es hoch und betrachtet sich in dem langen Spiegel an der Innenseite der Schlafzimmertür, versucht zu ergründen, ob sie niedlich aussieht, aber auf einmal fällt ihr wieder ein, wann sie es das letzte Mal getragen hat, und jede Chance, damit einen auf niedlich zu machen, verpufft. Sie sieht auf das Etikett. Mimi Maternity. Sie war im neunten Monat mit Gracie schwanger, als sie dieses Kleid das letzte Mal getragen hat. Sie kann nicht in einem Umstandskleid ins Salt gehen, selbst wenn es das heißeste Teil ist, das sie besitzt, und niemand das Etikett sehen wird.
Sie kaut an ihren Fingernägeln, während sie ihre beiden einzigen Kleider begutachtet. Sie hasst sie. Schließlich hängt sie sie zurück an ihren Platz auf der Stange auf ihrer Seite des Schranks und geht ihre schwarzen Sachen durch. Ihre alten, verstaubten, dämlichen schwarzen Sachen. Sie kann das nicht. Sie kann da nicht hingehen. Sie kann nicht.
Sie schnappt sich das Telefon von ihrem Nachttisch und wählt.
»Ich kann da nicht hingehen«, sagt sie zu Petra.
»Warum nicht?«
»Ich habe nichts anzuziehen.«
»Wie alt bist du, sechzehn? Zieh ein schwarzes Top und einen Rock an.«
»Ich muss zuerst shoppen gehen. Lass uns nächstes Wochenende gehen.«
Sie braucht Zeit für eine Fahrt zum Einkaufszentrum von Hyannis, einen komplizierten und kostspieligen Ausflug, für den sie sich um Fährkarten und Busfahrpläne kümmern muss. Selbst wenn sie es sich leisten könnte, in der Innenstadt shoppen zu gehen, was sie mit Sicherheit nicht kann – verdammt, selbst wenn sie die Kleider dort verschenken würden –, würde sie sich mit neunundneunzig Prozent davon nie im Leben blicken lassen. Sie wird nie verstehen, warum Frauen, die sich alles und jedes leisten können, freiwillig Kleider mit Ananasmuster tragen, Pepto-Bismol-rosa Tops mit Pailletten und aufgestickten Hunden, Röcke mit aufgedruckten Seesternen und Walen.
»Nächstes Wochenende ist Figawi, da kriegen wir nie einen Tisch. Komm schon, du hast dich den ganzen Monat davor gedrückt. Leg ein bisschen Schmuck an und schmink dich ein wenig, dann wirst du toll aussehen.«
Petra hat recht. Nächstes Wochenende ist das Memorial-Day-Wochenende und Figawi, eine international bekannte Segelregatta von Hyannis über den Sund zum Hafen von Nantucket. Und es ist der große, offizielle Auftakt für die Sommersaison in Nantucket. Es gibt Muschelessen am Strand, aufwendige Benefizveranstaltungen, Preisverleihungen und Partys auf der ganzen Insel. Und in allen Restaurants wird die Hölle los sein.
»Ich weiß nicht.«
»Willst du dir diese Frau nun ansehen oder nicht?«
»Ich glaube schon, aber –«
»Dann lass uns sie ansehen.«
»Wie sieht sie denn aus?«
In der unendlichen Pause, die darauf folgt, presst Beth die Finger an die Lippen und hält den Atem an. Der Puls hämmert in ihren Schläfen. Seit dem Buchclub im letzten Monat wollte sie Petra diese Frage schon so oft stellen, aber ihre Angst vor der Antwort hat die Frage jedes Mal erstickt und Beth zum Schweigen gebracht. Wenn Angela schön ist, dann muss Beth hässlich sein. Und hässlich ist noch freundlich ausgedrückt. Abscheulich ist das Wort, das Beth anprobiert hat, mit dem Gefühl, es könnte ihr perfekt passen, besser als jedes schwarze Teil, das in ihrem Kleiderschrank hängt. Und wenn Angela nicht schön ist, dann muss sie süß oder witzig oder auf sonst eine unwiderstehliche Weise attraktiv sein, auf die Beth es nicht ist, sonst wären Jimmys Blicke nicht abgeschweift, um es zu finden. Das heißt, wenn Angela schön ist, dann ist Beth hässlich, und wenn Angela hässlich ist, dann ist Beth ein Biest, in beiden Fällen neu definiert, je nachdem, was Jimmy an dieser anderen Frau findet.
»Das werden wir heute Abend herausfinden.«
»Ja, aber du hast sie doch gesehen. Was denkst du?«
»Ich denke, sie kann dir nicht das Wasser reichen.«
Beth lächelt, aber dann kehrt ihr Blick zurück zu ihrem Kleiderschrank. »Wie wär’s nach Figawi?«
»Wie wär’s mit heute Abend?«
»Petra, ich muss da überhaupt nicht hingehen.«
»Stimmt.«
»Aber ich halte es nicht aus, nicht zu wissen, wer sie ist.«
»Na dann.«
Beth kaut an ihrem Daumennagel. »Kann ich mir deine Türkis-Halskette
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