Der Liebe eine Stimme geben
Woche mit Sophie steht, ihrer dreizehnjährigen, auf die achtzehn zugehenden Tochter. Die anderen beiden Mädchen warten schon fertig angezogen an der Haustür, aber Sophie steht noch immer in ihrem Zimmer, halb angezogen, überdreht und weinend, Kleider rings um sie verstreut . Ich kann nicht zur Schule gehen! Ich habe nichts anzuziehen!
Eher besorgt, dass die Mädchen zu spät zur Schule kommen, als um Sophies Modekrise, hat Beth im Allgemeinen irgendeine schnelle und zugegebenermaßen allzu heuchlerische Antwort für sie parat.
Du siehst wunderschön aus. Sei einfach du selbst, dann spielt es keine Rolle, was du anziehst. Komm schon, gehen wir!
Jetzt versteht Beth, warum Sophie dann immer die Augen verdreht und noch heftiger weint. Sie sollte sich bei ihrer Tochter entschuldigen und mit ihr nach Hyannis ins Einkaufszentrum fahren.
Sie versucht einen Moment lang, ihren eigenen Ratschlag zu beherzigen. Sei du selbst . Aber wer ist sie? Sie ist Jimmys Frau, und sie ist Mutter. Und wenn sie geschieden wird, wenn sie nicht mehr Mrs. James Ellis ist, sondern nur noch Mutter, ist sie dann weniger? Ihr graut davor, und sie fühlt es schon jetzt, physisch, als hätte ein Chirurg ein Skalpell an ihrem Unterleib angesetzt und einen wichtigen und notwendigen Teil von ihr entfernt. Ohne Jimmy erkennt sie sich selbst nicht wieder. Wie kann das sein? Wer ist sie geworden?
Sie rollt sich auf die Seite und blickt in ihren Kleiderschrank. Er ist gut organisiert. Das ist sie auch. Aber ansonsten ist sie nicht darin. Sie setzt sich auf und betrachtet sich in dem Spiegel an der Innenseite der Schlafzimmertür. Ihr blondes, kinnlanges Haar ist verfilzt und zerzaust, ihre blauen Augen tief liegend und glanzlos, ihr Pyjama pink und fusselig. Das bin nicht ich .
Sie steigt aus dem Bett und geht zurück zu den Bildern an der Wand in der Diele. Die jüngsten Porträts von ihr zeigen ihr nicht mehr als eine Ehefrau und Mutter. Sie war immer zufrieden mit ihrem Aussehen auf diesen Bildern, das Haar nicht allzu gekräuselt von der Feuchtigkeit, das Make-up dezent, die Nägel gepflegt, die Kleider gebügelt. Aber als sie sich jetzt mustert, erscheint ihr Lächeln gezwungen, unnatürlich, ihre Haltung steif, als wäre sie eine Pappfigur. Als würde sie posieren. Sie geht in der Zeit zurück und betrachtet das älteste Familienfoto und das Porträt von ihrer Hochzeit. Hier sieht sie mehr von der Frau, für die sie sich hält. In ihrem Lächeln liegt eine ungezwungene Ausgelassenheit, ihre Augen sind strahlend und glücklich. Wohin ist diese Frau verschwunden?
Nachdenklich sieht sie zur Decke, und es ist, als würde ihr die Antwort von oben geliefert werden. Der Dachboden!
Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und zieht an der baumelnden weißen Schnur, klappt die Holztreppe aus und steigt hinauf. Oben angekommen, schlägt ihr prompt eine Wand aus dichter, stehender Hitze entgegen. Gegen Ende Mai sind die Tage schon sonnig, aber es ist kühl geblieben, nicht über zwanzig Grad, und doch fühlt sich die gefangene Hitze hier oben auf ihrer Haut wie Sommer an.
Sie hält einen Moment inne, bevor sie sich entschließt, den Dachboden tatsächlich zu betreten. Das Dach ist niedrig und schräg, und die Holzdecke übersät mit vorstehenden Nägeln, sodass es nicht nur unmöglich, sondern auch gefährlich ist, aufrecht zu stehen. Und der Boden ist unfertig, ein paar Holzbalken, die der Länge nach durch die Mitte verlaufen, wie Brücken, die ein Meer aus rosa Isoliermaterial überspannen.
Beth kommt nicht gern hier hoch, aus Angst, sie könnte entweder vergessen, auf die niedrige Decke zu achten, und sich einen Nagel in den Kopf rammen oder versehentlich neben die Balken treten und durch den flauschigen Glasfaserboden ins Wohnzimmer stürzen. Deshalb geht sie im Allgemeinen nur zweimal im Jahr auf den Dachboden – am Tag nach Thanksgiving, um den Weihnachtsschmuck herunterzuholen, und am Neujahrstag, um den Weihnachtsschmuck wieder hochzubringen. Hoch und hinein, hinaus und hinunter, sie hat hier drinnen noch nie lange herumgetrödelt.
Am hinteren Ende liegt alles mögliche Zeug von Jimmy verstreut – Angelruten, die an der schrägen Decke lehnen, zwei davon umgefallen, verhedderte Netze, Angelkästen, einer davon geöffnet, eine Sammlung von Golfschlägern, kreuz und quer auf dem Boden wie ein Haufen Mikadostäbe, die leere Golftasche, ein einzelner Golfschuh, ein Surfbrett, ein Muschelrechen und ein Eimer.
»Jimmy.«
Die Hände in die
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