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Der Liebe eine Stimme geben

Der Liebe eine Stimme geben

Titel: Der Liebe eine Stimme geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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    Die Frauen vor ihr haben sich die ganze Zeit in aller Ruhe unterhalten, offenbar unbeirrt von den langen Schlangen und der immer ungeduldigeren Stimmung um sie herum. Eine von ihnen, eine natürlich aussehende Blondine, trägt ein schwarzes Baumwolltop ohne Logo, ohne Verzierungen, einen schlichten weißen Baumwollrock und Flipflops, und die andere trägt Yogasachen. Keinen protzigen Schmuck, keine Designerlabels, ihre Fingernägel sind nicht manikürt, und ihre Handtaschen sehen aus, als ob sie weniger als fünfzig Dollar gekostet haben. Einheimische.
    »Findest du es seltsam, dass ich Roger nicht beauftragen will?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Er hat alle anderen gemacht, und er hat immer tolle Arbeit geleistet. Ich weiß nicht, ich komme mir so treulos vor, aber es wäre einfach zu seltsam, ohne Jimmy bei ihm aufzutauchen.«
    »Das verstehe ich.«
    »Er würde bestimmt fragen: ›Wo ist Jimmy?‹, und dann müsste ich zugeben, dass er nicht kommt, und das wäre irgendwie seltsam.«
    »Dann geh nicht zu ihm. Er wird es gar nicht merken.«
    »Hier merkt jeder alles.«
    »Stimmt. Aber dann weiß er das mit dir und Jimmy vermutlich sowieso schon.«
    »Ich nehm’s an, vielleicht.«
    »Und wenn schon, das wäre ihm doch egal. So etwas kommt vor. Ist er nicht selbst seit Kurzem geschieden?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Doch. Seine Frau hat die Insel verlassen, ist nach Texas gezogen.«
    »Ach ja, richtig. Wen würdest du denn beauftragen?«
    »Ich weiß nicht, da solltest du Jill fragen. Sie hatten letzten Sommer jemanden.«
    »Sie hatten Roger.«
    »Oh.«
    »Ich weiß, ich sollte das Geld nicht ausgeben, aber ich brauche die Bilder. Sie werden eine visuelle Erinnerung sein, dass mein Leben auch ohne ihn gut ist, dass ich noch immer meine schönen Mädchen habe und ihn nicht brauche, um glücklich zu sein.«
    »Visualisierung ist gut.«
    »Das ist mein erster richtiger Schritt nach vorn.«
    »Du zeigst, was du dir vorstellst.«
    »Ja. Und ich muss es bald tun. Diese leeren Rahmen in meiner Diele sehen deprimierend aus.«
    »Warum bittest du nicht Gracie, ein paar niedliche Bilder zu malen, und steckst sie erst einmal in diese Rahmen?«
    »Ich habe sie gefragt, sie wollte nicht. Keine von ihnen wollte. Sie sind mir alle böse, weil ich unsere Familienfotos zerrissen habe. Das kann ich ihnen nicht verdenken. Es war so dumm von mir.«
    »Dass Jimmy dich betrügt, das war dumm. Du hast jetzt einen Freibrief.«
    »Psst.«
    »Was denn?«
    »Wir sind im Stop & Shop, jemand wird dich hören.«
    »Ach, hör schon auf. Kevin Bacon weiß, dass Jimmy dich betrügt.«
    »Stimmt, ich weiß.«
    Olivia berührt ihre Handtasche. Sie weiß, dass sie einen Strandporträt-Flyer darin hat. Sie sollte dieser blonden Frau auf die Schulter klopfen und ihr den Flyer anbieten, aber während sie mit dem Gedanken spielt, kommt es ihr zu aufdringlich vor. Und sie will die beiden nicht unterbrechen oder zugeben, dass sie ihre private Unterhaltung belauscht hat. Sie beschließt, für sich zu bleiben, und hofft, dass die blonde Frau ihren Flyer, der am Schwarzen Brett hängt, auf dem Weg nach draußen bemerken wird.
    Schließlich hat ihre Schlange die Nudelabteilung hinter sich gelassen, und jetzt kann Olivia alle Kassenschlangen im Geschäft sehen. Links von sich bemerkt sie eine Frau mit ihrem Sohn. Er ist vielleicht sechs oder sieben, und er sitzt im Kindersitz des Einkaufswagens. Seine langen, sonnengebräunten Beine baumeln herunter, reichen fast bis zum Boden. Er dreht ein Windrädchen, das er sich an die Nase drückt. Autismus.
    Er ist so völlig vertieft in eine sich drehende Welt aus verschwommenen metallischen Farben, dass ihn die lange Schlange gar nicht zu stören scheint, das Gedränge aufgebrachter Leute um ihn herum, das grelle Licht oder Michael Bublé, der über die Lautsprecher Tony Bennett singt. Dann verändert sich irgendetwas. Vielleicht spürt er, dass er Hunger hat, oder ihm ist langweilig, oder er hasst Michael Bublé, oder das Etikett am Rücken seines Hemds kratzt ihn jetzt doch mehr, als er ertragen kann. Wer weiß schon, warum? Er wirft das Windrädchen auf den Boden und beginnt zu schreien, die Daumen in die Ohren gesteckt,

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