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Der Liebe eine Stimme geben

Der Liebe eine Stimme geben

Titel: Der Liebe eine Stimme geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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Küste heulen.
    Heute Abend rollt Nebel heran, daher war das Läuten vielleicht das Windspiel eines Nachbarn, die Fahrradglocke eines Kindes auf einer Runde um den Block, ein Eiswagen am Strand. Aber das Läuten klang lauter, unmittelbarer. Mehr hier . Sie nimmt die Weinflasche aus dem Kühlschrank, und da ist es wieder. Ist es die Türklingel?
    Sie stellt die Flasche Wein auf dem Küchentresen ab, wischt sich die nasse Hand an ihren Shorts ab, geht zur Haustür und öffnet sie.
    »Hi, Liv.«
    Ihr bleibt die Luft weg. Sie hat nicht wirklich erwartet, dort jemanden zu sehen. Und sie hat mit Sicherheit nicht erwartet, ihn zu sehen.
    »David.«

ELF
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    Es ist Viertel nach neun, und Beth hat die Mädchen bereits am Gemeindezentrum abgesetzt. Gracie und Jessica lieben es, dort zu sein, aber Sophie hasst es. Bereits mit zwölf ließ sie erste Anzeichen erkennen, dass sie aus den Spielen und Bastelprojekten und Aktivitäten herausgewachsen war, gegen Ende des letzten Sommers, als sie sich beklagte, das Ferienlager sei »langweilig«. Nun, wenn es letztes Jahr langweilig war, dann ist es dieses Jahr die reinste Qual. Aber dorthin gehen eben alle Kinder, die noch zu jung für Ferienjobs sind, und Beth ist es lieber, wenn sie im Gemeindezentrum leidet, als wenn sie den ganzen Tag schmollend und gelangweilt zu Hause sitzt.
    Als Beth auf den Parkplatz des Gemeindezentrums einbog, sagte sie zu allen dreien: »Viel Spaß!«, und Jessica und Gracie lächelten und winkten, aber Sophie entgegnete: »Keine Sorge – werde ich nicht haben!« – und knallte die Wagentür zu. Ach, dreizehn.
    Das Lager geht bis zwei. Jimmy hat den Abend frei und hat angeboten, die Mädchen abzuholen, den Nachmittag mit ihnen zu verbringen und abends im Brotherhood mit ihnen essen zu gehen. Er hat gesagt, er würde sie spätestens um acht nach Hause bringen.
    Vor Beth dehnen sich fast elf Stunden aus, in denen sie tun und lassen kann, was sie will. Ein völlig freier Tag. Noch vor einer Woche hätte sie diese Zeit genutzt, um das Haus auf Vordermann zu bringen, für irgendein großes Projekt, wie zum Beispiel alle Fenster zu putzen oder den Schimmel von den Terrassenmöbeln zu entfernen oder Unkraut zu jäten. Aber sie hat kürzlich angefangen, Schreiben in Cafés wieder zu lesen, und in ihren Notizbüchern zu blättern, ihren alten Gedichten, ihren Kurzgeschichten, ihren vielen unvollendeten Charakterskizzen, und all das bereitet ihr Freude. Und sie hat wieder angefangen zu träumen.
    Daher lässt sie den Schimmel und die Pollenflecken und das lästige Unkraut sein. Stattdessen ist sie zur Bibliothek gefahren, um einen stillen Ort zum Schreiben zu haben, frei von jeder Ablenkung. Heute fühlt sie sich bereit, diesen kreativen Teil von sich abzustauben, den sie vor Jahren weggepackt hat, und zu sehen, ob er noch funktioniert. Endlich nimmt sie sich die Zeit und den Raum, um diese ausdrucksvolle Stimme in sich zu erkunden, die unbewusst erstickt wurde, verloren zunächst an die Anforderungen junger Mutterschaft, dann zu Trägheit verführt von ihrer Alltagsroutine.
    Sie geht in den ersten Stock hoch und setzt sich auf einen Shaker-Holzstuhl ohne Armlehnen an einem massiven Holztisch. Dieser ist weitaus größer als der in ihrem eigenen Esszimmer und steht vor einem Fenster, das ebenfalls übergroß ist, mindestens zwei Meter vierzig hoch. Das Fenster steht offen, und eine frische Morgenbrise weht in den Raum. Neun andere, ebensolche Stühle stehen rings um den Tisch, alle unbesetzt.
    Sie zückt den leeren Spiralnotizblock, den sie vor Jahren gekauft hat, und schlägt die erste Seite auf. Es ist lange her, seit sie irgendetwas anderes geschrieben hat als Schecks, um die Rechnungen zu bezahlen. Sie ist aufgeregt, nervös. Sie zückt ihren Lieblingsstift und starrt auf die Seite, versucht sich zu überlegen, wie sie anfangen soll. Anfänge sind ihr schon immer schwergefallen. Sie klopft mit dem Stift gegen ihre Zähne, eine Angewohnheit, die sie als Jugendliche angenommen hat, wenn sie bei einem Problem mit ihren Hausaufgaben nicht weiterkam, und sie kann die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf hören, die sagt: Lass das, Elizabeth , und so lässt sie es.
    Sie sieht zu der Uhr an der Wand hoch. Es ist neun Uhr fünfundzwanzig. Wie das Fenster und der Tisch ist auch die Uhr überdurchschnittlich groß. Sie ist aus Eichenholz, mit römischen Ziffern auf einem elfenbeinernen Zifferblatt. In das Holz sind kunstvolle Schnörkel geschnitzt, die aussehen wie

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