Der Liebe eine Stimme geben
Gängen unterwegs zu einem anderen Zimmer bin, verlaufe ich mich und werde verwirrt und verliere mich irgendwo dazwischen und habe das Gefühl, nirgends zu sein. Dann fühlt sich mein Gehirn an, als ob es vielleicht ein bisschen kaputt ist, aber ich weiß, dass ich nur den Weg zu einem der Zimmer finden und die Tür schließen muss.
Aber wenn zu viel auf einmal passiert, kann es richtig schwierig werden für mich. Wenn ich die quadratischen Fliesen auf dem Küchenboden zähle (180), bin ich in meinem Zahlenzimmer, aber wenn meine Mutter anfängt, mit mir zu reden, muss ich in mein Ohrenzimmer gehen, um sie zu hören. Aber ich will in meinem Zahlenzimmer bleiben, weil ich jetzt zähle, und ich zähle gern, aber meine Mutter redet immer weiter, und das Geräusch von ihr wird immer lauter, und ich fühle mich unter Druck, das Zahlenzimmer zu verlassen und in mein Ohrenzimmer zu gehen. Daher gehe ich in den Gang, aber dann nimmt sie meine Hand, und das überrumpelt mich und zwingt mich, in das Händezimmer zu gehen, wohin ich gar nicht gehen wollte, und sie redet mit mir, aber ich kann nicht hören, was sie sagt, weil ich in meinem Hände- und nicht in meinem Ohrenzimmer bin.
Wenn sie meine Hand loslässt, kann ich in das Ohrenzimmer gehen. Sie sagt: Sieh mich an . Aber wenn ich sie ansehe, muss ich das Ohrenzimmer verlassen und in das Augenzimmer gehen, und dann werde ich nicht hören können, was sie sagt. Daher weiß ich nicht, was ich tun soll, und ich renne durch die Gänge, und ich kann mich nicht entscheiden, wohin ich gehen soll, und ich bin irgendwo dazwischen, und das ist der Moment, wo es schwierig wird.
Wenn ich zu lange in den Gängen herumirre und nicht sicher in ein Zimmer komme, dann kann ich in das Horrorzimmer gezogen werden, und es ist nicht leicht, dort wieder herauszukommen. Manchmal bin ich lange Zeit in diesem unheimlichen Zimmer gefangen, und der einzige Ausweg ist, so laut zu schreien, wie ich kann, denn manchmal kann mein richtig lautes Schreien die Tür aufstoßen und mich genau ins Ohrenzimmer schubsen.
Das Geräusch meiner eigenen schreienden Stimme ist das Einzige, was mich von allem anderen befreien kann.
Meine Stimme macht Schreie und Geräusche, aber keine Worte. Aber das ist kein kaputtes Zimmer in meinem Gehirn. In meinem Gehirn rede ich ganz normal mit Worten mit mir. Ich glaube, dass ich vielleicht kaputte Lippen oder eine kaputte Zunge oder einen kaputten Hals habe. Ich wünschte, ich könnte meiner Mutter und meinem Vater sagen, dass meine Stimme kaputt ist, aber mein Gehirn funktioniert, aber ich kann es ihnen nicht sagen, weil meine Stimme kaputt ist. Ich wünschte, sie würden von selbst darauf kommen.
SECHZEHN
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25. Januar 2004
Gestern war kein guter Tag. Ich hatte einen schweren, scheußlichen Zusammenbruch. Das passiert in letzter Zeit immer öfter. Meine Therapeutin meint, ich sollte anfangen, ein Antidepressivum zu nehmen. Ich finde, das klingt nach einem perversen Witz. Ich habe nach einem Medikament gesucht, habe um ein Medikament gebettelt und gebetet, das alles heilen wird, und das ist die Antwort auf meine verdammten Gebete? Anthony hat Autismus, daher gibt man MIR ein Antidepressivum – Problem gelöst!
Wie wär’s mit einem Medikament für IHN?! Wie wär’s damit? Und bitte eines, das wirklich hilft. Wie wär’s mit einem Rezept für ihn, das ihn dazu bringen wird, zu reden und Bauklötze aufeinanderzustapeln und aufzuhören, ständig das Licht ein- und auszuschalten und zu stöhnen und zu schreien und mit den Zähnen zu knirschen? Und wie wär’s mit einem, das ihn nicht entweder in einen zugedröhnten Zombie oder einen rasenden Psychopathen auf Crack verwandelt? Wie wär’s damit? Wie wär’s mit einem Medikament, bei dem er sich nicht sein ganzes Bettzeug und die Teppiche und mich vollkotzt? Wie wär’s damit?
Aber nein, geben wir MIR ein Medikament. Na bitte. Jetzt ist alles schon besser.
Anthony hat mindestens einen Zusammenbruch täglich, und jetzt habe ich auch mindestens einen Zusammenbruch täglich, und wir können seinen nicht in den Griff bekommen, also sehen wir zu, dass wir meinen in den Griff bekommen. Heilen wir mich, und dann können alle mit Anthonys Autismus klarkommen.
Meine Therapeutin hat mir letzten Monat ein Rezept für Celexa ausgestellt. Ich habe es weggeworfen. Ich verstehe ihre Logik, und ich hasse diese Logik. Ich versuche, die Therapeutin nicht zu hassen. Wenn ich depressiv bin, dann bin ich es eben. Scheint mir eine
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