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Der Liebe eine Stimme geben

Der Liebe eine Stimme geben

Titel: Der Liebe eine Stimme geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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ziemlich normale Reaktion auf mein derzeitiges Leben zu sein. Wenn sie mein Leben hätte, wäre sie auch depressiv. Jeder wäre das. Sie kann ihre hübsche, ordentliche Lösung für all meine Probleme behalten. Ich werde bei Wein bleiben, schönen Dank auch.
    Also, der gestrige Zusammenbruch. Ich bin allein zum Supermarkt gefahren, und David ist mit Anthony zu Hause geblieben, und ich hatte gute Laune. Ich fahre gern allein zum Supermarkt. Dann kam ich nach Hause, und das Erste, was ich sah, als ich die Haustür öffnete, war Anthony, der mitten im Wohnzimmer stand. Er hat von der Seite einen Blick auf mich geworfen und dann angefangen, auf- und abzuhüpfen, die Ellenbogen an die Rippen gelegt, mit den Händen zu fuchteln und zu kreischen. Das ist Anthony, wenn er sich freut, mich zu sehen. Und im ersten Moment dachte ich: Hi, Anthony. Ich freue mich auch, dich zu sehen.
    Und dann dachte ich: Vielleicht sollte ich es einfach versuchen. Wenn er uns nicht nachahmen will, vielleicht sollte ich versuchen, ihn zu imitieren. Ich habe die Einkaufstüten fallen lassen und ein lautes Kreischen ausgestoßen, und ich bin auf- und abgehüpft und habe mit den Händen gefuchtelt.
    Und so waren wir also im Wohnzimmer – David auf der Couch, wo er sich das Football-Eröffnungsspiel angesehen hat, und Anthony und ich kreischend und hüpfend und mit den Händen fuchtelnd. Es kam mir so unnatürlich und seltsam vor, als würde ich mich über ihn lustig machen. Es kam mir falsch vor. So bringen die Leute nicht Freude oder Aufregung oder Liebe zum Ausdruck. Und ich dachte: So sieht es aus, wenn man zurückgeblieben ist. Und ich habe mich so dafür geschämt, dass ich dieses Wort gedacht habe. Ich hasse dieses Wort.
    Warum kann er nicht einfach lächeln und sagen: Hey, Mom, schön, dass du zu Hause bist? Weil er es nicht kann. Weil er Autismus hat. Ich HASSE Autismus. Stattdessen kreischt Anthony und fuchtelt mit den Händen und sieht zurückgeblieben aus, und das ist Anthony, wenn er Freude zeigt, und ich kann nicht dasselbe tun und mit ihm zusammen Freude empfinden.
    Und dann dachte ich: Das ist es. Das ist alles, was ich je bekommen werde. Keine Umarmungen und Küsse. Kein »Hi, Mom!«. Kein »Ich liebe dich, Mom«. Keine Muttertagskarten, die er selbst gebastelt hat. Er hüpft auf und ab und fuchtelt mit den Händen und kreischt, und so zeigt er Freude. So zeigt er Liebe. Und das ist alles.
    An manchen Tagen kann ich dankbar dafür sein. Das kann ich. Aber gestern habe ich es nicht verkraftet. Ich war einfach nur sauer. Vom Kopf her weiß ich, dass es das Beste ist, was er kann, und ich liebe ihn dafür. Ich war nicht sauer auf ihn. Ich war sauer auf Gott.
    Ich habe Anthony und die Einkaufstüten stehen lassen, und ich habe Father Foley angerufen und ihm mein Herz ausgeschüttet. Was für ein grausamer Gott ist das, der einem Jungen Autismus gibt? Was für ein Gott ist das, der einem kleinen Kind ein solches Leid auferlegt? Wozu? Warum kann Anthony nicht mit uns reden? Warum kann er mich nicht ansehen und lächeln und »Mom!« sagen und in meine Arme gelaufen kommen wie andere kleine Jungen? Warum muss er so leben? Was hat er getan, um ein solches Leben zu verdienen? Was habe ich getan, um das zu verdienen? Was?
    Father Foley sagte einen Haufen absolut nutzloser Worte, irgendetwas von dem gnädigen Willen Gottes und den Offenbarungen des Bösen und der Erbsünde. Ich weiß es gar nicht so genau. Es wurde alles zu einem bedeutungslosen statischen Rauschen. Ich habe nichts gesagt. Ich hatte noch immer das Wort WARUM im Mund, während ich auf eine richtige Antwort wartete.
    Dann sagte er: Beten Sie weiter, Olivia. Gott wird Sie erhören, wenn Sie zu Ihm beten.
    Und das war der Punkt, an dem ich zusammengebrochen bin. Ich sagte etwas in der Richtung, dass ich nicht wollte, dass Er mich ERHÖRT. Ich will, dass Er etwas TUT. Ich will ein paar verdammte ANTWORTEN. Ich bin das Beten so leid. Scheiß aufs Beten. Ich bin fertig mit Beten. Ich bin fertig mit Gott.
    Und dann habe ich das Telefon durchs Zimmer geschleudert und geschrien und geheult, als würde man mich umbringen, als würde das hier mich umbringen. Und ich glaube, das tut es tatsächlich.
    Das hier bringt mich um.
    David hat die erste Hälfte des Footballspiels verpasst, während er versucht hat, mich zu beruhigen. Ich habe eine Flasche Wein getrunken, während er sich die zweite Hälfte angesehen hat, und ich bin ohne Abendessen ins Bett gegangen.
    Heute bin ich mit den

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