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Der Liebe eine Stimme geben

Der Liebe eine Stimme geben

Titel: Der Liebe eine Stimme geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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Frühstück gegessen zu haben.

NEUNZEHN
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    Beth sieht auf ihre Armbanduhr. Sie haben noch fünf Minuten, bevor sie das Haus verlassen müssen. Gracie und Jessica sind schon fertig, tragen dieselben hauchzarten weißen Blusen und verwaschenen Bluejeans und warten am Küchentisch, aber Sophie ist noch immer oben und bastelt an sich herum.
    »Sophie!«, ruft Beth. »Zwei Minuten!«
    Sie geht ins Bad, um einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen. Mit den Fingern streicht sie eine Haarsträhne glatt, die sich zu kräuseln droht, und wischt sich ein bisschen Glanz von der Stirn. Sie lächelt gekünstelt. Nichts hängt zwischen ihren Zähnen. Obwohl sie weiß, dass sie mit ihrer hellen Haut und ihrer Neigung zu Sommersprossen und Sonnenbränden und, in letzter Zeit, Falten die Sonne meiden sollte, hat sie sich in der letzten Woche jeden Tag für eine Stunde auf die Terrasse gelegt, um eine gesunde Farbe zu bekommen. Ihre Wangen sind rosig, und ihre Augen strahlen. Mission erfüllt.
    Sie hat letzten Monat einen Flyer einer Strandporträt-Fotografin mit günstigen Tarifen im Stop & Shop und die perfekte Strandporträt-Bluse online bei Old Navy gefunden. Sie hat vier Stück bestellt, eine für jede von ihnen, und sie hat die zusammenpassenden Blusen vor Wochen gewaschen und gebügelt. Gestern Abend haben sie sich alle die Zehennägel in demselben pfauenblauen Ton lackiert. Sie tragen alle winzige Perlohrringe und passende silberne Armreife. Sie sind von Kopf bis Fuß perfekt aufeinander abgestimmt. Beth lächelt, gratuliert sich dazu, dass sie so gut organisiert ist, dass sie an alles gedacht hat.
    » Mom! «
    Das eindringliche Kreischen in der Stimme einer ihrer Töchter lässt Beth in die Küche stürzen. Sie mustert Jessica von oben bis unten. Kein Blut. Keine Tränen. Sie sieht gut aus. Aber dann wendet Beth ihre Aufmerksamkeit Gracie zu. Die ganze Vorderseite ihrer schönen, hauchzarten weißen Bluse ist mit rotem Früchtepunsch bekleckert. Gracie, tränenüberströmt und schockiert, hält ein großes und fast leeres Glas in der Hand. Nicht gut. Überhaupt nicht gut.
    »Mein Gott, Gracie! Was hast du getan?«
    »Das war Jessica! Sie hat mich geschubst, als ich getrunken habe!«
    »Ich habe sie nicht geschubst.«
    »Doch, hast du!«
    »Es war ein Unfall«, sagt Jessica.
    »Warum hast du denn überhaupt etwas getrunken?«, fragt Beth. »Ich habe euch doch gesagt, dass wir in zwei Minuten losfahren.«
    »Ich hatte Durst.«
    »Komm her.«
    Beth wartet nicht, bis Gracie sich in Bewegung setzt. Sie reißt ihrer Tochter die Bluse über den Kopf und lässt Gracie in der Küche stehen, nackt von der Taille aufwärts und weinend. Beth läuft in die Waschküche, gießt eine Kappe Waschmittel auf die Bluse und schrubbt sie unter fließendem Wasser ab. Der Fleck hellt sich auf, von Dunkelrot zu Rosa, aber er ist noch immer da. Und jetzt ist die ganze Bluse triefend nass. Gracie kann das nicht anziehen. Beth sieht auf die Armbanduhr. Sie müssen jetzt losfahren.
    Denk nach. Denk nach. Denk nach.
    Beth schrubbt wieder an der Bluse herum. Noch immer rosa. Noch immer nass. Sie hat keine Zeit mehr. Sie muss sich damit abfinden. Sie können die schönen, zusammenpassenden, hauchzarten weißen Blusen nicht tragen. Dieser Traum ist geplatzt.
    Sie muss sich einen Plan B einfallen lassen. Okay, sie werden nicht alle dieselben weißen Blusen in demselben Stil tragen, aber sie können immer noch alle Weiß tragen.
    »Gracie!«, ruft Beth. »Geh in dein Zimmer und zieh dir eine weiße Bluse an!«
    »Welche denn?«
    »Egal! Geh schon!«
    Beth holt einmal tief Luft und atmet sie langsam durch den Mund aus, um nicht auszuflippen. Sie geht zurück in die Küche und beäugt Jessica, die seltsam still dasteht, als hätte sie Angst davor, zu blinzeln.
    »Warum hast du deine Schwester geschubst?«
    »Das wollte ich nicht.«
    »Na schön. Bleib, wo du bist, und fass nichts an. Und trink nichts.«
    Gracie kommt in die Küche zurück, in einem weißen T-Shirt mit den Worten MÄDCHENPOWER MACHT JUNGEN SAUER in dicken, lila Buchstaben auf der Vorderseite.
    »Nein, nein, nein«, sagt Beth. Entnervte Ungeduld schleicht sich in ihre Stimme. »Nicht das. Ohne Aufschrift. Es darf keine Aufschrift haben. Geh und such dir eine ganz weiße Bluse!«
    »Ich habe keine ganz weiße Bluse!«, sagt Gracie, noch immer weinend.
    »Du musst eine haben.«
    »Nein.«
    »Dann nimm dir eine von Jessicas!«
    »Die sind mir viel zu groß!«
    Beth geht in Gedanken

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