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Der Liebe Gott Macht Blau

Titel: Der Liebe Gott Macht Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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dann wurde sein Blick kritisch: Er entdeckte auf einmal, dass die Fesseln der Maorifrau eher stabil waren. Wieso war ihm das nicht früher aufgefallen? Nach und nach verflüchtigte sich die Verliebtheit. Die Stimme der Frau klang schrill in seinen Ohren, ihr exotisches Gesicht mit den hohen Wangenknochen wirkte jetzt nur noch grob. Als sie vom Tisch aufstand, registrierte Rahikainen, dass ihr Hintern unverhältnismäßig breit war, und ihr Gang erinnerte ihn an das Watscheln einer Gans. Ihr Nacken war dick und ihr Haar zottig. Als sie an Rahikainen vorbeiging, strich sie ihrem Liebhaber aus dem fernen Norden zärtlich über das Haar. Diese unterwürfige Geste jagte ihm einen Kälteschauer über den Rücken. Zugleich stieg ihm scharfer Schweißgeruch in die Nase, vor seinem inneren Auge sah er das Bild einer Eingeborenen, die den Schenkelknochen eines weißen Mannes benagt. Rahikainen stand angewidert auf, knüllte seine Kraftwerksentwürfe zusammen und verließ die stickige Hütte, um draußen frische Luft zu schnappen. Er atmete tief und füllte die Lungen mit dem schwefelhaltigen Dampf der heißen Quellen. Rahikainens Liebe zu dem exotischen Land und seinem Volk war erloschen. Er beschloss, wieder zu denTouristen ins Hotel zu ziehen und die Situation zu überdenken.
    Pirjeri sah, dass man sich auf Konko-Hito verlassen konnte. Rahikainens Liebe war erloschen, er war offenkundig zur Vernunft gekommen. Der Stellvertreter Gottes überließ Rahikainen der Nachsorge durch den Schutzheiligen und erklärte, dass er wieder in die Region nördlich des Äquators zurückkehren werde. Zuvor aber werde er einen Abstecher nach Indien machen.
    Nachdem er sich von Konko-Hito verabschiedet hatte, begab sich Pirjeri in die arme und schmutzige Großstadt Kalkutta. Schon immer hatte er den Wunsch gehabt, das unerträgliche Elend, das dort herrschte, zu lindern. Aus den Höhen seines Turmdrehkrans hatte er Gott schwer dafür getadelt, dass er das Elend in Indien zuließ.
    Die chaotische Zehnmillionenstadt war wirklich schockierend, sogar für den stellvertretenden Gott Pirjeri Ryynänen. In den schmutzigen Straßen wimmelte es von armen Leuten in einfachen Gewändern. Die gefährlich wankenden, rostigen Busse waren überfüllt mit mageren, großäugigen Passagieren. Das Geschrei der Menschen und das Dröhnen der Autohupen bildeten eine markerschütternde Kakophonie. Aus den Fenstern der Wohnhäuser hing Wäsche, grellfarbene Kinoplakate prägten das Straßenbild. Mitten durch den Verkehr trottete gemächlich eine zottelige Kuh mit heiligem, gelangweiltem Blick. Die Gerüche in den Straßen waren ekelerregend.
    Pirjeri hatte Schwierigkeiten, in diesem Chaos auch nur einen einzigen Engel zu finden. Er musste sein göttliches Gehirn tüchtig anstrengen, ehe er zwischen den Passanten einen älteren Mann erblickte, der einen weißen Umhangtrug und sich als Engel Radzu Murhshami vorstellte. Er hatte sein Leben lang in Kalkutta gewohnt, hatte zum kastenlosen Bevölkerungsteil gehört und war Ende der Siebzigerjahre an Unterernährung und Lungentuberkulose gestorben, im Alter von nur neunundvierzig Jahren. Pirjeri zog sich mit ihm auf einen kleinen Platz zurück, auf dem es ruhiger war als in den verstopften Straßen.
    Pirjeri betrachtete das Gewühl ringsum und sagte zu Radzu, dass das Leben in Kalkutta betäubender war, als er sich hatte vorstellen können.
    Der örtliche Engel bestätigte, dass das Gewimmel in den Straßen seltsam anmuten mochte, doch man gewöhnte sich auch daran.
    »Man gewöhnt sich an alles, höchster Allmächtiger«, sagte Radzu Murhshami.
    Pirjeri erzählte, dass er bereits als Mensch wegen der Verhältnisse in Kalkutta besorgt gewesen war und dass er jetzt, nachdem er zum Gott gewählt geworden war, das Elend lindern wollte. Er bat Radzu, ihm die momentane Situation in der Stadt zu schildern.
    Laut Radzu war Kalkutta die bevölkerungsreichste Stadt Indiens und die Hauptstadt von Westbengalen. Sie hatte einen großen Hafen und war ein bedeutendes Industriezentrum, exportiert wurden hauptsächlich Jutestoffe, Erz, Gummi und Lebensmittel.
    »Es ist ein gewisses Paradoxon, wir exportieren von hier Esswaren, und gleichzeitig leiden die armen Leute in der Stadt Hunger. Aber ausländische Währung ist kostbar, manchmal kostbarer als ein Menschenleben«, berichtete der Engel.
    In Kalkutta gab es einen internationalen Flughafen, unddorthin führten viele wichtige Bahnlinien. In der Umgebung befanden sich zahlreiche Bergwerke,

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