Der Liebespakt
zufrieden in ihre Kajüte zurückgezogen. Fred hatte sie noch zum DVD-Gucken im Gemeinschaftsraum eingeladen, das sei es, was man hier abends so mache. »Wir verzichten dann heute auch auf Schweinkram«, hatte er unbeholfen hinterhergeschoben, aber Toni hatte gesagt, sie würde sich lieber zurückziehen und schlafen legen. Die ganze Reise sei sehr anstrengend gewesen, »Zeit zum Ausruhen«. Nun stand sie allein im Zimmer, die Hände auf den Holztisch gestützt, und genoss den Ausblick. Die Sonne ging gerade unter, das Orange und Rot des Himmels war so intensiv, wie es nur im hohen Norden sein kann. Toni konnte sich gar nicht sattsehen.
Satt, dachte Toni plötzlich. Wann habe ich das letzte Mal so gut gegessen? So eine wie Linda, die hätten Georg und sie damals zu einem der Abendessen einfliegen lassen sollen. Dieses Essen hätte die Berliner Wirtschaftswelt umgehauen.
Wie weit weg und fremd ihr diese Welt von Berlin-Mitte plötzlich vorkam. So eine wie Linda, die würde sich vermutlich nicht einfliegen lassen. Die konnte sich kaum vorstellen, wie viel Geld reiche Menschen dafür ausgaben, exklusiv zu essen. Die stand jeden Morgen vor Sonnenaufgang in ihrer Kantine und schuftete für einen Lohn, über den Georg und seine damaligen Vorstandskollegen nur gelächelt hätten. Toni schüttelte den Kopf. Sie war hierhergeflogen, um ein besonders exklusives Holz einzukaufen. Und nun wohnte sie zusammen auf einem Schiff mit denen, die unter härtesten Bedingungen dafür schufteten, diese ganze Großstadtexzentrik möglich zu machen. Ein bestimmter Marmor, eine bestimmtes Holzpaneel, ein bestimmtes Blattgold. All diese Schönheit war unauflöslich mit Schweiß und harter Arbeit verbunden.
Der Himmel glühte jetzt noch einmal kräftig rot auf. Dann kam schlagartig die Dunkelheit. Hier oben wurde es wirklich richtig dunkel. Schon waren die ersten Sterne zu sehen. Toni ahnte, in ein, zwei Stunden würde sich ein unglaublicher Sternenhimmel über ihr auftun, sollte er wolkenfrei bleiben. Sie musste an das Ayurveda-Hotel denken, an die sommerliche Nacht mit Georg im Gras, als das Kind gezeugt wurde. Sie hatte lange versucht, nicht mehr daran zu denken. Es gab ihr einen Stich. Schnell zog sich Toni ihren Schlafanzug an, sie hatte zum Glück ihren Winterschlafanzug eingepackt, machte die Nachttischlampe an und legte sich ins Bett. Sie würde noch ein bisschen lesen, damit sie endgültig müde wurde.
Das Buch packte sie nicht richtig, immer wieder ließ sie es sinken. Bloß jetzt nicht zu viel nachdenken. Wenn die Gedankenmaschine
einmal ansprang, dann würde sie trotz Jetlag keinen Schlaf finden. Es war die Stille hier oben, die Schwärze der Nacht, die die Gedanken ungehindert aufsteigen ließen. Das war gefährlich, davon hatte sie sich in den letzten Monaten krampfhaft abgelenkt - mit Arbeit, Radio, Fernsehen, Bella Italia, Telefonaten. Unruhig warf Toni den Kopf hin und her und blieb dann mit dem Blick zur Holzpaneelwand liegen.
Birken. Irgendjemand hatte Birken in die Holzpaneele geschnitzt. Die Schnitzereien waren ganz hell, wahrscheinlich waren sie ziemlich frisch. Wie hübsch, dachte Toni, eine Birkengruppe zu schnitzen, gerade hier oben, wo es zwar vor Bäumen nur so wimmelte, aber Birken gab es, soweit sie wusste, hier nicht. Ob sich der Mann beim Schnitzen an seine Heimat erinnert hatte? Es war eine lockere Birkengruppe - Toni zählte sechs Bäume. Vielleicht kam der Mann aus Finnland oder wie Aleksej aus Russland, denn der sprach auch manchmal von Birken.
Plötzlich fielen ihr die Birkenbögen ihres Gartenlauben-Abends wieder ein, unter die sie die Gäste gesetzt hatte. Es kam Toni vor, als läge ein Jahrhundert zwischen heute und diesem Abend. Es war so ein schöner Abend gewesen, der letzte, an dem sie wirklich neben Georg gesessen hatte, damals noch voller Hoffnung, die Ehekrise in den Griff kriegen zu können. Wie naiv sie gewesen war. Aber auch, wie überzeugt von sich und Georg, von dieser Ehe. War das dumm gewesen? Oder treu? Und jetzt, Toni schaute an sich herunter und sah auf den Bauch, jetzt war sie schwanger, und er wusste nichts davon. Wie hatte alles so unglaublich schieflaufen können? Toni, nun endgültig von der inneren Unruhe gepackt, sprang auf und ging zum Fenster. Hinausschauen würde sie beruhigen, die Stille des Sees würde ihr guttun.
Der Anblick des Sternenhimmels war absolut überwältigend. Es war, als hätten sich die Sterne in den letzten Wochen gepaart
und alle Nachwuchs bekommen. Der
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