Der Liebespakt
ja was? Georgs Gedanken stockten, was ihm nicht oft passierte - dieses irrwitzig überladene Gelage unter Birken. Die Birken waren, es fiel ihm erst jetzt auf, miteinander verflochten, immer zwei bildeten einen Bogen, und unter jedem Bogen standen zwei Stühle beieinander. Gott, ist das kitschig, durchfuhr es Georg - was ist denn bloß in sie gefahren. Er hatte nie viel übriggehabt für Wald- und Wiesenromantik. Jeweils ein Paar sollte unter so einem Birkenbogen sitzen, das wurde ihm nun klar. Toni hatte indessen den Arm ihres Mannes gegriffen und führte ihn sanft, aber bestimmt in den Raum hinein, in welchem schon die meisten Gäste standen und halb bewundernd, halb irritiert die ungewohnt üppige Inszenierung mit einem Glas Champagner in der Hand betrachteten.
»Denk bitte daran, dass heute unser Hochzeitstag ist«, flüsterte sie Georg zu.
Der blieb abrupt stehen. »Unser was?«, sagte er fassungslos.
Niemand hatte herübergesehen. Toni strich ihm beruhigend über den Arm.
»Du erinnerst dich, dass wir vor vier Jahren geheiratet haben?«
»Ja«, sagte er nun verdutzt.
»Und du möchtest, dass wir weiterhin wie ein glücklich verheiratetes Ehepaar wirken?«
»Natürlich.«
»Dann ist heute, wie jedes Jahr an diesem Tag, unser Hochzeitstag. Unser vierter, um genau zu sein. Ich wollte dich nur vorher darauf hinweisen.«
Georg sah leicht panisch aus, aber dann blickte Tom herüber, und er hatte sein Gesicht sofort wieder im Griff. Tom prostete ihm lässig zu.
Indem nun der Hausherr und sein Hauptgast eingetroffen waren, nämlich der scheidende Vorstandsvorsitzende samt Gattin, war man vollständig und begann die Plätze einzunehmen. Hinter jedem Teller - altes Porzellan, mit romantischen Pärchenmotiven in Meißner Blau dekoriert - stand eine Tischkarte mit dem schön geschwungenen Namen des Gastes. Georg hatte recht gehabt mit seiner Ahnung, die Ehepaare wurden heute Abend nicht getrennt. Jedes saß unter seinem eigenen grünen Birkenbogen. Zwölf Paare in zwölf kleinen Gartenlauben. Erstes Gelächter war zu hören, helles Auflachen der Damen, während die Herren ihr sonores Lachen immer wieder durch Kommentare unterbrachen.
Georg war sich nun sicher, dass Toni ihn mit diesem Abend lächerlich machen wollte. Sein Gesicht war wie versteinert, während er sich setzte. Neben ihm, einen Birkenbogen weiter, saß Lilly Putkammer, ihr Mann war ein altgedientes Vorstandsmitglied, ein unscheinbarer Herr, den man eher in der Provinz erwarten würde, als Chef der örtlichen Sparkasse, dessen Stimme aber im Vorstand Gewicht hatte. »Was für ein wunderschönes
altes Silberbesteck. Fühlen Sie mal, wie schwer es in der Hand liegt. So etwas wird heute nicht mehr hergestellt«, sprach Frau Putkammer Georg an. »Ist es geliehen oder ein Familienerbstück?« Der hatte darauf natürlich keine Antwort, er hatte ja keine Ahnung, was hier los war. Er starrte auf das Silber mit dem elegant geschwungenen floralen Muster am Griff und presste ein »geliehen« heraus. Ihm war elend zumute. Er fühlte sich wie einer, der auf einer Bombe sitzt, einer birkengrün dekorierten Bombe, und weiß, sie wird hochgehen. Alles, was er sich aufgebaut hatte, was er war und sein würde, was zum Greifen nahe vor ihm lag, alles würde heute Abend in die Luft fliegen. Es musste nur einer aussprechen. Es musste nur einer die ganze Absurdität dieser Kitschorgie laut herauslachen - das war der Zünder, der reichte, um die Bombe hochgehen zu lassen. Und dieser eine, dessen war Georg sich sicher, würde sich finden. Dieser ganze ältliche Kram hier, diese üppige Tischdeko, dieser Birkenkitsch - das war doch nicht Tonis Stil. Sie lehnte doch alles ab, was verschnörkelt und umständlich war. Was wurde hier gespielt? Provokation. Rache. Ich hätte mein berufliches Schicksal niemals in Tonis Hände legen dürfen, dachte er panisch. Gott, war ich dumm!
Toni griff nach Georgs Hand, die er ihr wohl oder übel überlassen musste. Es fühlt sich gut an, dachte sie. Er kann nicht weg. Er muss sich mit mir zeigen. Er ist mein Mann und ich bin seine rechtmäßige Ehefrau. In der Tat, so war es, jeder konnte es sehen, wie sie beide in ihrer Laube zusammensaßen, genauso wie Karoline neben ihrem Verlobten Tom, wo sie auch hingehörte. Toni gefiel diese Ordnung - die des Tisches und die der Dinge. Ihr gefiel die Heiterkeit des Birkengrüns, dieser Hauch von Natur mitten in der Stadt, sie atmete den frischen Birkenduft ein. Zu ihrem Erstaunen (sie war über sich
Weitere Kostenlose Bücher