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Der Liebespakt

Titel: Der Liebespakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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klingen, ermahnte sich Georg selbst. Niemand darf spüren, dass bei uns etwas nicht stimmt. Also schickte er hinterher: »Eine neue, faszinierende Seite dieser faszinierenden Frau, von der ich das Glück hatte, sie vor genau vier Jahren heiraten zu dürfen.« Nun trugen ihn seine Worte weiter, als er eigentlich hatte gehen wollen, wie ein Auto, das mit zu hohem Tempo in die Kurve hineinrast, und zu der Geschwindigkeit addieren sich die Fliehkräfte der Biegung, und plötzlich wird man hinausgetragen. »Und deshalb ziehe ich jetzt vor, was ich eigentlich erst heute spät in der Nacht bei einem letzten Glas Wein tun wollte, nachdem Sie alle, liebe Gäste, uns nach einem wunderbaren Fest bei Kerzenschein verlassen hätten, also meinen Top: Hochzeitstag, um in der Konferenzsprache
zu bleiben.« Einige Gäste lachten, Georg spürte, wie die Anspannung sich löste. Alle Augen ruhten auf ihm und Toni.
    Georg griff in die Tasche seiner Smokinghose, zog die kleine Schatulle mit den Perlenohrringen hervor und überreichte sie feierlich mit den Worten: »Heute vor vier Jahren war der schönste Tag in meinem Leben.« Er war selbst erstaunt über seine Worte. Aber das sagte man doch so: »… der schönste Tag in meinem Leben«. Toni griff - mit einem ehrlich überraschten Aufschrei - danach und öffnete die Schatulle vor aller Augen.
    »Perlen«, rief sie aus. »Ich liebe Perlen.« Georg und Toni wussten beide, das war eine Lüge. Und Toni hatte auch sofort erkannt, dass die Ohrringe niemals für sie gedacht waren, sondern für die kühle Blonde auf der anderen Seite der Tafel, deren Gesichtsfarbe inzwischen so fahl war wie die Farbe ihres Kleides. Toni lächelte sie an wie eine Freundin, sie zwinkerte ihr zu, während sie die Ohrringe geschickt an ihrem Ohr befestigte, die Löcher hatte sie seit Jahrzehnten. Dann schob sie die rotblonden Haare hinter das Ohr, sodass alle Gäste den neuen Schmuck bewundern konnten. Als Erster begann der Vorstandsvorsitzende Peter von Randow zu klatschen. Schnell fielen andere Gäste ein, bald wurde das Klatschen rhythmischer, und die Botschaft war klar: Ein Kuss wurde erwartet. Und Georg, der schon viel weiter gegangen war, als er gewollt hatte, nahm zum ersten Mal seit langer Zeit seine Frau in den Arm und küsste sie vor den Augen aller, auch vor den Augen seiner Geliebten. Jubel brach aus, und in dem Jubel machte Toni sich frei und hob ihr Glas Champagner hoch.
    »Wir trinken auf die Liebe und die Ehe. Heute feiern wir alle Hochzeitstag«, rief sie aus, und alle Anwesenden rissen das Glas hoch und prosteten sich zu, alle außer Tom, denn dessen Frau
war auf die Toilette verschwunden. Schon wurde der erste Gang serviert - eine Hochzeitssuppe. Ganz in der Tradition eines Hochzeitsmenüs aus dem 19. Jahrhundert.
    Was danach in weiteren sechs Gängen aufgetischt wurde, übertraf alles, was man diesen Gästen jemals zuvor serviert hatte, obwohl es kaum ein Gericht, kaum ein Gewürz gab, mit dem man sie noch überraschen konnte. Alle hier waren in der Welt herumgekommen. Doch dieser Abend war nicht exotisch, im Gegenteil, er war geradezu heimatlich. Seine Besonderheit lag in der Art, wie die Speisen angerichtet worden waren - üppig und dekorativ, wie auf Gemälden, die in der Alten Nationalgalerie oder im Bode-Museum hingen. Es gab nur ein Wort, um das Essen zu beschreiben: verschwenderisch.
    Die Austern des zweiten Gangs türmten sich auf Gebilden aus zerstoßenem Eis, die an aztekische Pyramiden erinnerten. Kunstvoll hatten die Köche ein Ornament aus Austern und goldgelben Zitronenschnitzen auf der stufigen Eispyramide dekoriert. Ganz oben auf deren Spitze bündelten sich feine hellgrüne Frühlingszwiebeln zu einer archaischen Federkrone, die Gäste sollten sie pflücken und mit einem kleinen scharfen Messer in die Austern hineinschnippeln, um danach den frischen Zitronensaft über die Schalentiere zu träufeln. Kleine Schälchen mit frischem Pfeffer, geriebenem Ingwer und dünnen Chilifäden standen überall auf der Tafel verteilt. Georg beobachtete besorgt, wie sich sein Notar Dr. Edgar Bartsch begeistert Austern auflud und dass Frau Bartsch schon gerötete Champagnerwangen hatte. Er stand auf und ging zu ihm hinüber, besuchte ihn in seinem absurden Birkenabteil, beugte sich zu ihm hinab und fragte leise: »Was halten Sie davon?« Und der Notar antwortete laut und hörbar begeistert: »Wunderbar, wunderbar. Was für eine Frau Sie haben!« Und als Georg dann hochschaute, sah er, wie perfekt

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