Der Liebespakt
heiraten: die Liebe. Deshalb sitzen hier lauter wunderbare Paare um mich herum, die einen Ehering tragen und sich damit zueinander bekennen«, schwärmte Toni nun vor den nicht wenig erstaunten Gästen. Zwar war ihre Eigenwilligkeit als Gastgeberin bekannt und geschätzt, aber dieser Abend schien doch eine sonderbare Wendung zu nehmen. Erst diese üppige, altväterliche Art, den Tisch zu decken, und jetzt eine poesiealbumhafte Rede über die Liebe und ein unzeitgemäßes Lob der Ehe. Einige Gäste schauten etwas betreten nach unten. Sie waren es gewohnt, in Meetings zu sitzen und über wirtschaftliche Strategien nachzudenken. Einen flammenden Vortrag über Liebe und Ehe zu hören, war - freundlich gesagt - leicht verstörend. Aber Toni ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.
Mit einem strahlenden Lächeln streckte sie Georg, der immer noch versteinert neben ihr saß und die Sekunden zählte bis zur Detonation der Bombe, beide Hände hin. Der ergriff sie, und sofort spürte er den Zug nach oben. Er sollte aufstehen und tat das - wohl oder übel - gehorsam.
»Schatz«, sagte Toni zu ihm, während er sich aufrichtete und ihm die Damastserviette aus den schweißnassen Händen glitt und zu Boden fiel, »sag du unseren Gästen doch bitte, warum deine Frau gerade heute so von der Liebesheirat schwärmt.«
Georg fühlte sich plötzlich ungeheuer müde. Ein müder Zirkuslöwe, der vor aller Augen über einen Stab springen soll. Alle Gäste starrten ihn an, und es gab nur eine Antwort, Toni hatte ihn ja einige Minuten zuvor - auf dem Weg zur Tafel - dressiert. Er musste es jetzt sagen, vor aller Ohren, obwohl es ihm widerstrebte. Diese Ehe existierte nur noch auf dem Papier. Er hatte seit Wochen nicht mehr mit Toni geschlafen, das letzte Mal hatte er es mittendrin abgebrochen und sich schweigend zur Seite gerollt, so lustlos waren sie inzwischen miteinander. Was wollte Toni noch? Es war doch alles klar und geregelt, sie würde gut aus dieser Ehe rauskommen und bald einen anderen heiraten. Na und? Niemand regte sich mehr über eine Scheidung auf. Es war nur einfach im Moment kein günstiger Zeitpunkt dafür, und er hatte gedacht, Toni hätte das verstanden.
»Heute ist unser Hochzeitstag«, begann er mit einer Stimme, die einiges leiser war als sonst und längst nicht so forsch. Auf die Gäste wirkte es wie sympathische Schüchternheit, und er konnte rein gar nichts dafür. Manche Paare schauten sich an. Sieh an, ein menschlicher Zug an unserem Herrn Jungbluth, den wir bisher nicht kannten. Und Toni strahlte nun noch mehr.
»Unser vierter Hochzeitstag«, setzte sie eins drauf.
Es war, als legte sie dem müden Löwen den Stab absichtlich noch etwas höher hin. Er konnte die Erwartung seiner Gäste förmlich spüren, Toni hatte diese üppige Tafel hingebaut, die flackernden Kerzen, das frische Grün, und er war ohne alles hier eingetreten - ohne Blumenstrauß, ohne Kuss für seine Frau, ohne ein kleines Geschenk zum Hochzeitstag. Das war der perfekte Nährboden für Tratsch. Hatte er vielleicht den Hochzeitstag vergessen? Und bald würde man sich fragen: Ist er wirklich so ein guter Ehemann, wie er vorgibt? Das war dann der Anfang seiner Demontage - selbst wenn die ganz große Bombe heute Abend nicht platzte.
Tatsächlich, jemand räusperte sich schon halblaut. In diesen Kreisen wirkte Stille sofort peinlich, und jetzt sah Georg, wie der Vorstandsvorsitzende Peter von Randow sich zu seiner Frau beugte und leise, aber für alle Umsitzenden deutlich vernehmbar in ihr Ohr raunte: »Er ist wie alle Männer. Er hat den Hochzeitstag vergessen.« Alle im Raum wussten, von Randow verzichtete nicht freiwillig auf seinen Posten, er wäre noch gerne länger an der Spitze des Konzerns geblieben. Doch es hieß, er sei nicht mehr der richtige Mann für die neue Zeit. Er, Georg, war die Zukunft, aber wenn er nicht sofort die Kontrolle über den Abend zurückgewann, würde er in den Augen der Vorstandskollegen an Statur verlieren. Er war der »Economic Leader of the Year«, er war der Tonangeber, er durfte nicht wie ein dressierter Löwe über Tonis hingehaltenen Stab springen. Er musste ihr den Stab aus der Hand nehmen. Den Abend übernehmen. »Es stimmt, liebe Gäste, Sie sehen mich ein wenig aus dem Tritt, denn meine Frau hat mich mit diesem wunderbaren Abend tatsächlich überrascht - diese Birken und Blumen offenbaren eine Seite meiner Frau, die ich bis heute noch gar nicht kannte.« Vorsicht! Du darfst jetzt nicht negativ
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