Der Liebespakt
Toni als Gastgeberin alle im Blick hatte, wie
sie jeden ansprach und den Kellnern unauffällig Zeichen machte, falls der Wein in einem der vielen Gläser zur Neige ging.
Der Rehbraten des Zwischengangs sah mit seinen geometrisch exakt gespickten Speckwürfeln aus, als komme er aus der Hand eines Architekten, nicht eines Koches. Kleine tiefrote gedünstete Tomaten verliehen ihm die passende Leichtigkeit eines Zwischengangs. Danach - es folgten zwei Hauptgänge, Fisch und Fleisch - wechselte der Stil des Plattenarrangements. Nun kam Bewegung in die Sache, als sei ein Choreograf zu Werke gegangen. Mehrere Hummer hatten ihre Scheren wie bei einer Hebefigur des Wasserballetts ineinander verkeilt, sodass sich die Krustentiere gegenseitig in Höhe zu stemmen schienen. Die goldbraun gebratenen Poularden hatte der Koch aufgespießt, auf jeder Poularde steckte noch ein großer schwarzer Trüffel und eine schöne weiße Blume; die Poularden lehnten im Kreis aneinander, und durch die runden schwarzen Trüffelkugeln mit der weißen Blumenkrone wirkte es so, als hätten die Poularden in einer Tanzformation ihre Köpfe zusammengesteckt. Das flackernde Licht der Kerzen verstärkte den lebendigen Eindruck der Tafelgerichte. Es war wie im Traum.
Niemand dachte an diesem Abend noch an seine Linie, vergessen war alle Quälerei in Fitnessstudios, verdrängt waren die geschäftlichen Mittagsessen, bei denen man sich Brot und Wein verkniff. Die Atmosphäre war viel zu genussvoll, um sich etwas entgehen zu lassen. Diese ganze Stimmung, diese Laube aus Birken um sich herum, dieses schöne Geschirr, das geschliffene Kristall, die feste weiße Damastdecke, die auf die Beine fiel, sie gaben dem Abend einen feierlichen, gesetzten Rahmen, wie es keine Einladung zuvor bei Toni und Georg je geschafft hatte. Alle Sinne hatten Anteil daran. Augen, Nase, der Gaumen natürlich, und wie gut, wie angenehm schwer lag das Silberbesteck in der Hand. Selbst für die Ohren war es ein Genuss, dem
Konzert fröhlich plaudernder, mitunter aufgekratzter Stimmen zu lauschen, über dem ab und zu ein heller, satter Ton erklang, wenn altes Silber an altes Porzellan stieß. Bald lehnten sich die ersten Herren angenehm gesättigt zurück in ihrem Stuhl, während die Frauen vornübergebeugt mit der Tischnachbarin plauderten, und Toni fiel auf, wie viele zurückgelehnte Herren ganz zufrieden ihre Frauen anschauten, auch ein bisschen verlegen, als werde ihnen gerade bewusst, wie lange sie nicht mehr hingeschaut hatten. Und manche Dame merkte es nach einer Weile und drehte sich plötzlich um, sah ihren Mann, sah, dass er sie betrachtet hatte, und sie lächelte und griff nach seiner Hand.
Sogar die eckige Brille von Ludmilla Bense - ihr Mann war über den Betriebsrat in den Vorstand gekommen - sah nicht mehr ganz so scharfkantig aus, auch ihre fransige Kurzhaarfrisur schien weniger spitz ins Gesicht zu fallen. Und das grelle Grün von Lilly Putkammers Kleid wurde durch den Schimmer der Birkenblätter gemildert. Und Beate von Randows Gesicht sah deutlich weniger maskenhaft aus als sonst. Fast weich schaute sie aus ihrer Laube heraus. »Sie beide sehen so reizend aus in Ihrem lauschigen Birkenbogen«, sagte die Gattin des Vorstandsvorsitzenden, die ihnen gegenübersaß. »Ein Birkenwäldchen im eigenen Wohnzimmer. So etwas Entzückendes! Mal ganz etwas anderes. Das hätte ich gerade von Ihnen, Toni, nie erwartet.«
Toni lächelte sie an, ganz spielerisch legte sie ihre Finger ans Ohrläppchen und zeigte selbstvergessen ihre neuen Ohrringe vor. »Die Liebe«, sagte sie schwärmerisch und merkte, wie Georg neben ihr wieder erstarrte. Das gefiel ihr, deshalb wiederholte sie das Wort nochmals, diesmal kräftiger seufzend: »Die Liebe.«
Georg versuchte derweil unauffällig, nur ein einziges Mal Blickkontakt mit Karoline aufzunehmen. Sie musste doch erfahren, dass die Ohrringe ursprünglich für sie gewesen waren.
Was für ein absurder Abend, was für ein absurdes Theater, das seine Frau hier veranstaltete. Was war mit ihr los? Karoline sah demonstrativ nicht zu Georg herüber, sie vermied jeden Blickkontakt. Sie war wütend, das war klar.
Doch für Grübeleien und Misstöne blieb kaum Zeit. Die Kellner rückten schon wieder an und stellten nun jedem Gast einen kleinen Baumkuchen hin, auf dem ganz oben ein kleiner Amor aus Zuckerguss stand, mit Pfeil und Bogen. Georg starrte seinen Amor an. Der Pfeil zielte auf Toni. Genau wie der Pfeil von Tonis Amor auf ihn zielte. Er
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