Der Liebespakt
Hummer und vom Rehbraten ernährt und ab und zu ein Glas Champagner getrunken, um das Wohlgefühl zu behalten, aber nie so viel, dass sie betrunken wurde. Sie rief niemanden an, sprach mit niemandem, ging nicht ans Telefon. Sie hörte, dass ihr Exchef sie noch zweimal auf dem AB beschimpfte. Auch die Sekretärin Nola rief an. Und ihre Freundin Shirin einmal. Dazu die Zwillinge und einige Bekannte. Mehrere Callcenter riefen an, ein Handwerker und Margot im Auftrag des Geschirrverleihers, der ein fehlendes Kristallglas beanstandete und in Rechnung stellen wollte. Sie beantwortete keinen einzigen Anruf. Nur die Birken wurden regelmäßig gegossen. Die Bäumchen hielten sich tapfer, auch wenn ihre Blätter allmählich etwas schlapper hingen. Sonst kümmerte sie nichts. Toni las »Gartenlaube«-Romane.
Sie weinte mit ihren Heldinnen, sie floh mit ihnen nachts durch den stürmischen Wald, sie erlebte, wie diese Frauen von ihren Ehemännern durch Missachtung gedemütigt wurden oder wie sie ihre Ehemänner durch Missachtung demütigten (weil Frauen auch vor hundert Jahren schon komplizierte Wesen waren), aber wie sie doch nicht aufhören wollten, an die Liebe zu glauben. Eine Liebe, die doch wahrhaftig existiert hatte, wenigstens einen Moment lang. Dieser Moment war für diese Frauen in einer Weise bindend, die viele Menschen heute nicht mehr verstehen konnten. Aber Toni fand Gefallen an dem Liebespathos, das heute so unzeitgemäß wirkte. Diese Frauen jammerten nicht, wälzten keine Ratgeber-Bücher, schlichen nicht zum Therapeuten, quatschten nicht. Diese Frauen kämpften - um einen Mann, um ihre Verlobung, um ihre Ehe. Ja, um den Status, um ihre Achtung und Selbstachtung.
Shirin verteilte jetzt die Karten. Die Zwillinge prüften eingehend ihr Blatt. Wäre es nach ihren Gesten gegangen, man hätte sie leicht verwechseln können. Aber diese Gefahr bestand nicht, denn sie gaben sich große Mühe, so unterschiedlich wie möglich zu wirken. Alice trug ihr Haar kurz, Ellen schulterlang. Außerdem war Ellen als Juristin immer betont klassisch angezogen, Kostüm, Etuikleid oder Hosenanzug, während Alice - eine Wirtschaftsjournalistin - eher der einfache Bluse-und-Jeans-Typ war. Die beiden hassten Ähnlichkeit. Ihre ganze Kindheit lang hatten sie exakt aufeinander abgestimmte Sachen tragen müssen, bis zur Unterwäsche. Toni kannte Alice und Ellen seit der Grundschule. Zu dritt hatten sie sich nach dem Abitur für den Umzug nach Berlin entschieden und die ersten Jahre in einer WG zusammengelebt. Danach hatten sich die Wege beruflich und auch räumlich getrennt. Aber alle wohnten weiterhin in Berlin, und man sah sich auf jeden Fall einmal die Woche zur Pokerrunde. Außer sie fiel aus, was nur selten vorkam - zuletzt allerdings in der letzten Woche, als Margot und Toni tief in den Vorbereitungen für das Gartenlauben-Fest gesteckt hatten. Deshalb wussten die Zwilling noch von nichts.
Wie soll ich denen jemals meine Gefühle für Georg erklären, dachte Toni im Stillen, während sie ihr Blatt aufnahm. Männer hatten in der Pokerrunde einen schweren Stand - außer Toni war hier keine verheiratet. Ellen und Shirin lebten seit Jahren allein, nur Alice wohnte mit einem Mann zusammen, einem Kerl namens Wuschel. Toni konnte immer noch nicht fassen, dass er sich tatsächlich so nennen ließ, aber bislang war kein anderer Vorname aufgetaucht. Also Wuschel. Es war unklar, ob Wuschel ein Mann oder eher ein Haustier war. Und Margot? Die schmiss sowieso alle Männer unmittelbar nach dem Koitus aus der Wohnung. Toni war sich ziemlich sicher, was ihre Freundinnen sagen würden: Wenn Georg dich
betrügt, pack die Koffer, fang ein neues Leben an. Ganz einfach.
Und dann noch der gekündigte Job. Plus ausgeschlagener Junior-Partnerschaft. Niemand wusste davon, selbst Shirin hatte es noch nicht erfahren. Sie würden sie für verrückt erklären, das war klar. Toni war nicht erpicht darauf, zu berichten, was in den letzten Tagen so alles passiert war.
»Spielen wir«, verlangte Toni lautstark. Die anderen schauten verwundert. Toni war nicht gerade die Poker-Königin der Runde.
»Bist du sicher?«, fragte Margot und schaute sie durchdringend an. Auch Shirins prüfender Blick war jetzt deutlich zu spüren.
»Und ob - ich will spielen!« Toni tat so, als sortiere sie ihre Karten.
»Toni«, Ellen rollte die Augen, »wir spielen doch kein Rommé oder Mau-Mau. Bei Poker sortiert man keine Karten. Und das nach unzähligen Jahren wöchentlicher
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