Der Liebespakt
blickte dorthin, wo das Auto gestanden hatte. Es war weg. Ihr Parkplatz war leer. Ein kleines Häuflein Kleidung lag
auf dem nackten Beton - Toni erkannte aus der Distanz ihren Mantel und ihren Schal. Sie schnappte nach Luft, es war, als hätte ihr jemand in den ungeschützten Bauch geboxt, sie ging hinüber zu dem Kleiderhaufen und hob die Sachen auf. Wie ferngesteuert zog sie Mantel und Schal über. Sonst war nichts zu finden. Dann bemerkte sie den zweiten Eingang der Raststätte, er führte vom Parkplatz direkt in den WC-Bereich hinein. Er war ihr früher nie aufgefallen. Georg offensichtlich schon. Und als könne sie das Unfassbare dann besser begreifen, ging sie nun durch diese zweite Tür, in der absurden Hoffnung, Georg sei vielleicht doch noch da, nur das Auto sei weg. Wie wahrscheinlich war das? Total unwahrscheinlich. Welcher Dieb klaute ein Auto und räumte vorher einen Damenmantel aus?
Schon der Flur war weiß gekachelt. Ohne lange zu überlegen, öffnete Toni die Tür zur Herrentoilette - rechts Pissoirs, links lagen die Kabinen. Sie schaute in den Kabinen-Raum, aber alle Türen standen halb offen. Es war niemand dort drin. Toni trat zum Waschbecken, sah ihr fassungsloses Gesicht im Spiegel und drückte auf den Wasserknopf, um sich gegen den Schock kaltes Wasser ins Gesicht zu schütten, doch sie spürte das Wasser kaum. Danach griff sie sich ein Papierhandtuch, um Gesicht und Hände abzutrocknen, und als sie das Papier in den blauen Plastiksack werfen wollte, entdeckte sie ganz oben auf dem Abfall ihren Schlüpfer. Georg hatte ihn einfach auf dem Klo einer Autobahnraststätte - ihrer beider Raststätte! - entsorgt. Er hatte ihn keine Minute länger in der Tasche tragen wollen. Toni fischte ihn heraus. In diesem Moment ging die Tür der Herrentoilette auf, der Klowart trat ein, er stutzte kurz, als er eine Frau hier stehen sah, aber sie war so kreidebleich, dass er ihr bloß, ohne ein Wort der Ermahnung, die Tür zum Ausgang aufhielt.
Toni stopfte eilig den Schlüpfer in die Manteltasche und schritt leicht schwankend hinaus, als sei sie betrunken, dabei
war sie nur ein angeschlagener Mensch, ein immer deutlicher unterlegener Boxer, der im Ring nach dem Bauchtreffer auch noch einen Kinnhaken einstecken musste. Sie schaffte es hinaus in die kühle Abendluft. Frierend griff sie in ihre Manteltaschen und merkte, dass rechts etwas steckte. Es war eine Visitenkarte von Georg. Sie drehte die Karte um und erkannte seine Handschrift. »Nenn mir eine Summe. Ansonsten lass mich in Ruhe. Unsere Ehe existiert nur noch auf dem Papier. Ich liebe Dich nicht mehr. Der Platzhirsch«
Erst da begann Toni zu weinen. Seit sie von seinem Fremdgehen wusste, hatte sie kaum eine Träne vergossen. Aber jetzt brach es aus ihr heraus. Sie ließ sich auf eine kalte Steinbank fallen und heulte sich die Seele aus dem Leib; einige Besucher gingen an ihr vorbei, schüttelten verstört den Kopf, tuschelten, doch niemand sprach sie an. Nicht eine Sekunde hatte Toni die Hoffnung, in einem der Autos, die neu angefahren kamen, könnte Georg sitzen, plötzlich erschrocken über seine Kälte. Nein, sie wusste, er war jetzt fast wieder in Berlin. Er würde es pünktlich ins Hotelzimmer schaffen, in dem Karoline auf ihn wartete. Würde er ihr eine lustige Geschichte von seiner treu ergebenen Ehefrau erzählen? Würden sie gemeinsam über Tonis romantische Naivität lachen? Um sich dann umso heftiger zu lieben, ein Paar, das sich in puncto Herzlosigkeit um nichts nachstand. Georg hatte früher mal gesagt: Eine Frau, die zu viel liebt, die nicht loslassen kann, die muss man bloßstellen. »Das hilft immer. Das verzeihen einem die Frauen nie.« Jetzt hatte er genau das mit ihr getan. Sie spürte förmlich, wie zufrieden er jetzt im Auto saß. Er hatte das Autoradio angestellt. Er pfiff eine Melodie. Er hatte wieder etwas erledigt - diesmal seine Frau.
Es war eine Stunde vor Mitternacht, als Toni endlich Shirin anrief und sie bat, sie an der Raststätte abzuholen. Shirin hatte Probleme zu verstehen, wo Toni war und was sie genau wollte.
Ihr Gespräch wurde immer wieder von Schluchzen unterbrochen. Shirin setzte sich in ihren Golf und fuhr los. Um drei Uhr morgens waren die beiden Frauen wieder in Berlin. Toni hatte sich längst die Unterhose wieder angezogen. Sie war angetrunken. Außerdem hatte sie wieder mit dem Rauchen begonnen.
8
Die ganze nächste Woche blieb Toni verschwunden. Sie schlief nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung, rief nicht
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