Der Liebespakt
vor, in wechselnder Folge kleine engagierte Restaurants und Caterer aus der Umgebung anzusprechen, damit sie ein überschaubares Pressekonferenz-Buffet ausrichteten. Das kostete nicht die Welt, man lernte einige interessante Küchen kennen, und die Journalisten würden es dem Konzern sicher danken.
Sie hatte recht gehabt. Seitdem waren die Pressekonferenzen auch bei »weichen Themen« gut gefüllt. Weiche Themen - das waren für Wirtschaftsleute alle Themen, die sich nicht direkt um Geld, Gewinn und Aktienkurse drehten. Ausbildungsplätze zum Beispiel. Frauenförderung. Migrantenförderung. Dafür war Georg Jungbluth zuständig. Unter Journalisten raunte man
sich zu, der Vorstandsvorsitzende Randow habe Jungbluth diese ganzen Randthemen aufs Auge gedrückt, um ihn mit Arbeit zu überhäufen und kaltzustellen. Aber Jungbluth hatte seine Chance erkannt. Er hatte vorausgeahnt, dass diese Bereiche politisch immer wichtiger wurden. »Wir sind die Guten. Die Leute müssen unserem Konzern vertrauen«, war im letzten Jahr sein Leitspruch gewesen. Das Konzept ging auf. Jetzt ärgerte sich Randow, dass Georg mit diesem seichten Gutmenschentum für den Konzern gute Presse holte. Nicht nur das. Indem Georg immer auch für attraktive Fotos sorgte, waren die Artikel meist auch noch hervorragend in den Zeitungen platziert.
Zusammen mit der Presseabteilung hatte Georg diesmal organisiert, dass die Fotografen nach Konferenz und Imbiss dem betriebseigenen Kindergarten noch einen kurzen Besuch abstatteten. Ein Motiv mit Kindern passte zu den weichen Themen - und Bilder mit Kindern liefen immer. Sogar die Wirtschaftsteile stellten immer mehr auf unterhaltsame Themenbilder um, weil sie die ewigen öden Wirtschaftslenker-Bilder der Pressekonferenzen und Aufsichtsratssitzungen leid waren.
Wie ein Hirtenhund trieb die Pressefrau die Fotografen deshalb jetzt vom Buffet weg. Einige der Herren murrten. Heute gab es leichte Snacks aus der armenischen Küche, Mezze genannt, die wunderbar schmeckten. Dazu versorgten drei adrette Damen die Journalisten und Fotografen mit Latte macchiato, Cappuccino, Kaffee und heißem, sehr süßem Tee. Einige Fotografen ließen sich schnell eine Serviette geben, um noch zwei, drei würzige Teigtaschen mitgehen zu lassen. Landsknechte, dachte Georg im Stillen. Nie würde er Journalisten wirklich als Geschäftspartner akzeptieren. Dafür waren sie zu gierig. Und verdienten viel zu wenig Geld.
Gemeinsam ging man im Tross durch einen unterirdischen Tunnel, der die Konzernzentrale mit dem Kindergartengebäude
verband. Dieser Tunnel war ein teurer Luxus gewesen, aber er zahlte sich aus. Er schaffte die Illusion, die Kinder seien tatsächlich in einem Haus mit den arbeitenden Eltern. Dabei lag die Kita etwa zweihundert Meter entfernt auf dem übernächsten Grundstück. Die Kita im Konzernhochhaus unterzubringen, wäre einfach nicht gegangen. Man konnte nicht Milliardengeschäfte abschließen, während unten das gläserne Foyer von einer Handvoll Zwergen mit Benjamin-Blümchen-Rucksäcken durchquert wurde, die »Anne Kaffeekanne« sangen. So waren die Kinder akustisch und optisch außer Reich- und Sichtweite. Und trotzdem gehörten sie dazu.
Angeregt unterhielt sich Georg mit einem Fotografen, den er schon länger kannte, über die Lage in Russland. Er wusste, der Mann hatte länger dort gelebt, Georg tauschte immer gern ein paar Worte mit ihm aus. Auf der anderen Seite lief schweigend ein junger Mann mit, Georg hatte ihn schon während der Pressekonferenz beobachtet. Er hatte gelangweilt ausgesehen, Georg vermutete, dass er ein Volontär oder Jungredakteur war, der von seiner Redaktion herbeordert worden war. Wahrscheinlich interessierte er sich gar nicht für Wirtschaftsthemen.
Das Gespräch mit dem Fotografen verebbte, also wandte er sich dem jungen Journalisten zu. »Und Sie sind?«, fragte Georg.
Der junge Mann sah wie ertappt aus. Er hatte wohl im Leben nicht erwartet, von Georg angesprochen zu werden. »Sebastian Koch. Jungeredakteur«, stellte er sich vor.
»Noch nicht lange in der Wirtschaft, oder?«, sagte Georg nun jovial.
»Nein«, gab Sebastian Koch ehrlich zu, »die Wirtschaft ist nicht mein Ding. Ich bin eigentlich für den Boulevard zuständig.« Darum war er überhaupt zu der Zeitung gegangen, um Interviews mit Filmstars aus Hollywood zu führen oder am Rand des roten Teppichs zu stehen. Celebreties waren seine Leidenschaft.
Nicht dieses blöde Zahlenzeug. Leider hatten sich im
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