Der Liebespakt
an, gab keinerlei Lebenszeichen. Auch der Notar hatte nichts gehört, keine Summe, keine Forderung. Georg machte sich trotzdem keine allzu großen Sorgen. Toni würde sich schnell wieder fangen. Denn sie war wie eine Katze, die immer auf die Füße fiel - sie hatte viele Freunde, sie hatte einen Job, den sie liebte und der sie ablenkte. Sollte die Tonikatze dennoch unglücklich aufgeschlagen sein, dann würden sie genug helfende Hände wieder aufrichten. So etwas wie diese Autobahnraststättennummer konnte er nur mit ihr machen. Bei einer hysterischen Frau musste man ja Angst haben, dass sie emotional zerrüttet nachts auf die Autobahn lief, um ihrem Leben ein Ende zu setzen. Toni nicht. Die war vermutlich mit dem Taxifahrer, der sie irgendwann wohl von der Raststätte weggeholt hatte, einen trinken gegangen und hatte mit ihm über die Gemeinheiten des Lebens philosophiert. Vielleicht lebten die beiden jetzt sogar eine Weile zusammen. Sie betonte ja immer, wie egal ihr sei, was jemand darstelle, wie viel er auf dem Konto habe und welchen Beruf. Gleichzeitig forderte sie mehr Geld. Toni war manchmal grauenhaft unerwachsen.
Das umdekorierte Büro allerdings, Georg gab es nur ungern zu, gefiel ihm ganz gut. Besonders der Schreibtisch. Dieser Schreibtisch erfüllte so eine Art Kindheitstraum, er entsprach
genau seinen Vorstellungen von einem mächtigen Schreibtisch. Schon als kleiner Junge hatte er den 60er-Jahre-Schreibtisch seines Vaters nicht leiden können, ein billiges Ding aus Furnierholz. Georg hatte nie verstanden, wie jemand, der mit Holz handelte, sich hinter so ein liebloses Fertigprodukt setzen konnte. Im Grunde hatte er sich damals geschworen, dass er, wenn er eines Tages ein eigenes Unternehmen leitete, hinter einem richtigen Unternehmerschreibtisch thronen würde. Diesen schwarzen minimalistischen Tisch, an dem er bislang in seinem Büro gearbeitet hatte, verachtete er in Wahrheit. Viel zu leisetreterisch. Nein, die neue Einrichtung war nicht schlecht. Wäre da nur nicht der Hirsch, dachte Georg. Doch abhängen ging jetzt nicht mehr. Zu viele Vorstandsmitglieder hatten schon in seinem Büro gestanden und wortreich seinen Mut, sich so etwas an die Wand zu hängen, bewundert. Jetzt musste er wohl oder übel zu dem Ding stehen. Georg merkte, wie die Wut wieder in ihm aufstieg. Toni!
Zum Glück war das tote Tier gerade weit weg, viele Stockwerke über ihm. Und zum noch größeren Glück wussten die anwesenden Journalisten nichts von seiner neuen Einrichtung. Georg befand sich nämlich gerade im Foyer des Konzerns. Eben war eine gut besuchte Pressekonferenz unter seiner Leitung zu Ende gegangen. Jetzt standen die Journalisten in kleinen Gruppen zusammen, aßen einen Happen und diskutierten die Zahlen. Alles war positiv gewesen - mehr Ausbildungsplätze als letztes Jahr, mehr Frauen in führenden Positionen (allerdings noch keine im Vorstand), Sprachkurse für IT-Fachkräfte aus China und Indien. Georg spürte, die Pressemeute war zufrieden. Dafür sorgte nicht zuletzt das Buffet.
Die älteren Kollegen unter den Wirtschaftsjournalisten erzählten gerne, wie man im Konzern noch bis vor wenigen Jahren mit ihnen umgesprungen war. Damals hatte es zur Pressekonferenz
nur lauwarme Kaffeeplörre gegeben, die in großen silbernen Thermoskannen serviert wurde. Natürlich mussten sich die Journalisten damals selbst bedienen. Hatte man oben auf die Kanne gedrückt, ergoss sich die Kaffeebrühe in einem heftigen, kaum kontrollierbaren Strahl in die dickwandigen hässlichen Porzellantassen. Am Ende waren die Hosen der Berichterstatter genauso mit Kaffeeflecken besprenkelt wie die weißen Wegwerftischdecken aus Papier. Dazu wurden trockene Industriekekse gereicht, die man Stunden zuvor lieblos in billige Glasschalen geschüttet hatte. »Jugendherberge«, hatten die erfahrenen Kollegen damals geschimpft. Verköstigung wie in der Jugendherberge bei Deutschlands mächtigstem Konzern.
Georg Jungbluth hatte den Charakter der Konzern-Pressekonferenzen geändert, ohne anbiedernd zu wirken. Eigentlich war es Tonis Initiative gewesen. Sie hatte irgendwann Georg zugesetzt und ihm vorgeworfen, es sei »kurzsichtig«, wie der Konzern mit der Presse umgehe. »Warum behandelt ihr die Journalisten nicht wie Geschäftspartner? Die würdet ihr doch auch nicht mit dünnem Kaffee abservieren.« Als Georg damals etwas missmutig gemeint hatte, man könne ja ein paar Schnittchen aus der Kantine kommen lassen, verwarf Toni das auch. Sie schlug
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