Der Liebespakt
Der sagte noch nicht mal danke, ließ den Hirschkopf wieder gegen die ochsenblutrote Wand knallen und entriss Frau Schurz das Handy. Sofort war er im Menü unter dem Punkt Anruflisten. Da war sie, die Nummer, die er erwartet hatte. Die er nur allzu gut kannte. Da war Tonis Handynummer. Er rief sofort an.
Als Frau Schurz sanft die Tür zuzog, war Georg schon seit Minuten in totaler Rage. Er brüllte ins Telefon, bis ihm die Stimme überschlug. Er brüllte so, dass Toni ihr Handy in die Mitte des Autos legen konnte, in dem inzwischen nicht nur sie, sondern auch Shirin, Margot und die Zwillinge Alice und Ellen saßen. Die fünf konnten trotz des Motorenlärms des alten Jaguars jedes einzelne Wort von Georg sehr gut verstehen, oder besser gesagt, jedes einzelne Schimpfwort. Dann folgte ein schreckliches Geräusch - und das Handy war tot. Offensichtlich hatte Georg es an die Wand geworfen.
»Wow!« Ellen fand als Erste die Sprache wieder.
»Was in aller Welt hast du gemacht?«, fragte Shirin neugierig. Alle starrten noch immer auf Tonis Handy, aber es war nichts mehr zu hören.
Toni erklärte ihren Freundinnen, die Sache sei eigentlich nicht so kompliziert gewesen. Sie habe sich gestern Nachmittag ein billiges Handy besorgt und es freigeschaltet. Dann sei sie in die Kneipe »Sorgenbrecher« gegangen, eine, die man eigentlich unter 1,2 Promille nicht betreten sollte, und habe eine
der männlichen Tresenmumien mit einer Packung Zigaretten auf den Hof gelockt. Dort habe der brav und überraschend deutlich - nachdem er die Packung erhalten hatte - das Wort »Schlappschwanz« in das Handy gesprochen. Diese Sprachaufzeichnung habe sie zum Klingelton gemacht und das maximal aufgeladene Gerät nachts im Hirschkopf in Georgs Büro deponiert. Und heute Vormittag, als sie sicher gewesen sei, dass ihr Mann in seinem Büro saß, habe sie angefangen die Nummer zu wählen. Statt zu klingeln habe der Hirsch jedes Mal mit einer derben Schnapsstimme »Schlappschwanz« gegrunzt.
»Keine große Sache«, schloss Toni.
Die vier Frauen starrten sie fassungslos an. »Ick hab ja schon’ne Menge jehört, aber det übertrifft doch det meiste«, meinte Margot.
»Du bist ja so böse«, ergänzte Alice.
»Du bist großartig«, toppte Ellen.
»Du bist unsere Meisterin«, rief Shirin, und tatsächlich neigten in diesem Moment alle vier Freundinnen den Kopf vor Toni. Die Ironie war gespielt, bloß Tarnung, im Grunde meinte es jede von ihnen ernst: Sie bewunderten, was Toni da tat. Alle waren in der letzten Woche in Shirins Atelier vorbeigekommen und hatten mit ansehen müssen, wie eine völlig gebrochene Toni auf dem Rücken lag und Löcher in die Decke starrte. Und nun hatte sie sich innerhalb von Stunden wie Phönix aus der Asche ihrer verbrannten Liebe erhoben und ihrem untreuen Mann in aller Öffentlichkeit ein falsches Kind angehängt, trieb ihn mit technischen Spielereien in den Wahnsinn und war kurz davor, seine Kreditkarte in einem Berliner Luxus-Kaufhaus zum Glühen zu bringen. Das war nicht die alte Toni, das war eine fleischgewordene Rachegöttin. Respekt!
Die Rachegöttin erwartete allerdings keine Verehrung. Toni war ziemlich egal, was die anderen dachten. Sie wollte es Georg
heimzahlen - auf jede erdenkliche schmerzhafte Art. Ihn verwunden, einmal, zweimal, so oft es ging. Toni dachte nicht mehr darüber nach, ob sie ihre Ehe retten konnte. Wo Georg und sie gerade standen. Wie viel Zeit ihnen noch blieb. Plötzlich war ihr das alles scheißegal. »Ich liebe dich nicht mehr.« Georgs geschriebene Worte auf der Autobahnraststätte waren mehr als deutlich gewesen. Ab jetzt würde sie ihm wehtun.
Nur eine Rache, die würde sie niemals üben: der ganzen Welt von seiner Affäre zu erzählen. Denn dann war sie, Toni, das Opfer. Die Betrogene. Diejenige, mit der man Mitleid haben musste.
Sie war nicht das Opfer. Das war ab heute Georgs Rolle.
10
»Das kann ich unmöglich anziehen!«
Toni weigerte sich, nur einen Schritt aus der Kabine zu tun. Mit einer Hand hielt sie die hölzernen Schwingtüren der Umkleide zusammen, damit bloß niemand hereinkam, mit der anderen zog und zupfte sie an der Kleidung, die lustlos an ihrem Körper hing. Die breite Jeans aus Stretchstoff verdoppelte das Volumen ihrer Beine, sodass sich die schlanke Toni zur vollschlanken Toni wandelte. Am Ende der Hose war zu ihrem Erstaunen ein unglaublich breiter hautfarbener Gummischlauch angenäht - es sah aus wie eine Bockwurstpelle. Über der Jeansstretchhose trug
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