Der Liebespakt
sie ein langes roséfarbenes Ding namens Tunika, es erinnerte an ein ausgeleiertes T-Shirt. Die Tunika war ziemlich tief ausgeschnitten und verlangte deutlich mehr Oberweite, als Toni zu bieten hatte. Dann hätte man auch die sichtbare Aufschrift »Bynrd« als »Baby an Bord« entziffern können. Toni betrachtete sich verzweifelt im Spiegel.
Links und rechts tauchten im Spiegelbild andere Köpfe auf - grinsend hatten sich Ellen und Alice in die linke, Margot und Shirin in die rechte Nachbarkabine geschlichen, sich dort auf Hocker gestellt und linsten nun in Tonis von Hand verschlossene Kabine hinein.
»Das ist hier Kleidung für Extremschwangere«, jammerte Toni. Um sie herum lagen ausgebeulte T-Shirts mit den Aufdrucken »Mama ist die Beste«, »In Produktion«, »Der Teufel
trägt Pampers« und »Wertarbeit«. Sie hatte eigentlich mehr Qualität erwartet. Schließlich waren sie hier nicht irgendwo, sondern in der Damenoberbekleidungsetage eines bekannten Berliner Luxus-Kaufhauses. Geworben wurde mit Exklusivität und Stilsicherheit. Aber was war an einer Aufschrift wie »V. I. B. - Very Important Baby« stilsicher?
»Sehr diskret sind die T-Shirts nicht«, urteilte Shirin fachmännisch.
»Diskretion. Das spielt doch gar keine Rolle mehr. Heute macht doch jede Frau einen Riesenwirbel, nachdem ihr Schwangerschaftstest eine blaue Linie gezeigt hat. Danach ist sie wie ausgetauscht - Rauchverbot im Umkreis von 450 Metern, jeder Nachtisch wird akribisch auf Alkoholrückstände untersucht, jede Stimmungsschwankung wird oberdramatisch ausgelebt, mit dem Hinweis, man könne halt nicht anders. Die Hormone. Diese T-Shirts mit den ›Ich-bin-schwanger‹-Aufdrucken sind einfach Freifahrtscheine für neun Monate bedingungslose Tyrannei der Umwelt, die ab der ersten Zellteilung für jeden Pups Verständnis haben muss«, wetterte Alice.
»Es ist absurd, dass es Toni überhaupt mit ihrer geheuchelten Schwangerschaft in die Zeitung geschafft hat. Die Leute sind doch verrückt. Sobald eine Schauspielerin oder irgendein anderer weiblicher Fernsehpromi heute den roten Teppich betritt, wird sie als Erstes auf Anzeichen einer Schwangerschaft abgescannt. Das ist doch krank.«
»Ruhe hast du erst, wenn die Menopause weit hinter dir liegt - so wie bei Uschi Glas oder Sabine Christiansen.«
»Die wollen doch gar keine Ruhe, im Gegenteil, es soll nie aufhören mit der Fruchtbarkeit. Birgit Schrowange liebäugelt auch wieder mit Nachwuchs.«
»Wie alt ist die denn?«, fragte Margot.
»Über 50«, meinte Ellen.
»Jetzt hört doch mal auf zu quatschen.« Toni stampfte mit dem Fuß auf und zeigte entsetzt auf ihr Spiegelbild. »Wenn ich diese Sachen öffentlich trage, erwartet mich in Kürze eine Einweisung in Bonny’s Ranch«, jaulte sie auf. Bonny’s Ranch war West-Berlins berühmteste Nervenklinik gewesen und galt weiterhin als das Synonym für Irrenhaus.
Vermutlich war es eine blöde Idee gewesen, in die Schwangerschaftsabteilung zu gehen. Aber Toni hatte gehofft, hier etwas zu finden, was in den nächsten Wochen ihren total unschwangeren Bauch tarnte.
»Gibt es nicht Kleidung für Frauen, die ein bisschen schwanger sind?«, jammerte Toni.
»Bisschen schwanger gibt’s nicht«, sagte eine resolute Stimme und zog die Kabinentür auf, obwohl Toni sie weiterhin mit der Hand zuhielt. Aber Widerstand war zwecklos. Der Zug war kräftig und autoritär. Eine etwa 50-jährige Verkäuferin stand in der Kabine. Sie sah eher aus wie eine Schließerin.
Die Verkäuferin hatte die Gruppe schon länger misstrauisch beobachtet. Allein die Mengen an T-Shirts, Hosen und Kleidern, die sie in die Kabine geschleppt hatten. Die angeblich Schwangere hatte offensichtlich eine blonde Perücke auf und trug eine auffällig große Sonnenbrille. Da war doch etwas faul. Als der Rest der Frauen dann die Hocker der Nachbarkabinen bestiegen hatte, um über die Trennwand zu spionieren, war das Maß voll. Deswegen hatte sie ohne Vorwarnung die Kabinentür aufgerissen.
Vor ihr stand keine Perücken-Blondine, sondern eine hellhäutige, sommersprossige, rotblonde Frau in der übergroßen Schwangerschaftskleidung. Sie sah aus wie ein Clown. Die Hose hing so tief wie bei einem 15-jährigen Möchtegern-Rapper, und die Tunika erinnerte an die Hülle eines schlappen Fesselballons, dem die warme Luft fehlt, um prall zu werden.
»Wir sind doch hier keine Karnevalsabteilung«, blaffte die Verkäuferin. Dann betrachte sie Toni genauer. Das Gesicht kam ihr bekannt vor,
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