Der Liebespakt
sie hatte es gerade erst irgendwo gesehen. Ihr fiel die letzte Seite der Zeitung ein, die noch umgeklappt im Pausenraum lag, wo sich die Verkäuferin gerade mit einer Zigarette und einem Kaffee (schwarz, ohne Milch und Zucker) erholt hatte. Das war doch die schwangere Ehefrau dieses Wirtschaftsbosses. Eine Traumkundin! Sofort wurde der Ausdruck der Verkäuferin supermild, ja vertraulich.
»Ich habe Sie heute Morgen gesehen. In der Zeitung«, flüsterte sie.
»Sehen Sie, genau das ist mein Problem: Alle haben mich heute Morgen gesehen. Und jetzt erwarten alle von mir, auch mein Mann, dass ich dauerschwanger aussehe. 24 Stunden am Tag ein Dickbauch. Aber ich bin doch noch gar nicht so weit«, erklärte Toni und strich dabei die roséfarbene Tunika glatt, um zu zeigen, dass da kein Bäuchlein war.
»Verstehe«, sagte die Verkäuferin, die nichts verstand, »es ist also ganz frisch. Aber warum ziehen Sie nicht einfach Ihre normale Kleidung an?«
»Weil es dann neue Gerüchte gibt.« Toni zog die Verkäuferin zu sich heran und raunte: »Ich stehe unter permanenter Beobachtung.«
Promis, dachte die Verkäuferin, haben Probleme, die wir überhaupt nicht kennen. Eine Frau, die vorzeitig schwanger aussehen will - so etwas war der Verkäuferin in den vielen Jahren, die sie nun hier arbeitete, noch nie untergekommen. Aber gut, der Kunde ist König, der Promi ist ein Halbgott. Irgendetwas würde ihr schon einfallen.
»Sie suchen also etwas Hübsches für die ersten Monate, was sichtbar Ihr zartes Bäuchlein umspielt. In dieser Abteilung werden Sie das nicht finden, die kommt erst in drei, vier Monaten
infrage. Aber ich glaube, ich habe da genau das Richtige für Sie. Bei Ihrer Figur kann man ja eigentlich noch alles tragen, aber ich weiß genau, wie es sich anfühlt, wenn einem die Hose schon nach den ersten Wochen zu eng wird, schließlich habe ich vier Kinder zur Welt gebracht«, plapperte die Verkäuferin überfreundlich und forderte die ganze Gruppe auf, ihr zu folgen. Eine sonderbare Prozession setzte sich in Gang, um in die Tiefen der Damenbekleidungsetage vorzudringen. Toni lief voran in ihren schlabbernden Schwangerschaftsklamotten, hinter ihr die vier Pokerfreundinnen. Alle mussten sich beeilen, um den Anschluss an die Verkäuferin mit dem strammen Schritt nicht zu verlieren.
»Vier Kinder«, raunte Margot entsetzt. »Wie konnte denn das passieren?« Es klang so, als sei die Verkäuferin viermal in dieselbe Radarfalle getappt und jetzt auf Monate den Führerschein los. Die Verkäuferin hörte es nicht, sie führte die Gruppe vorbei an den Trenchcoats, Regenjacken und dünnen Dreiviertelmänteln, vorbei an der Jugendmode-Kollektion mit Strickmützen und coolen karierten Hemdkleidern, vorbei an den pompösen Abendkleidern der großen Firmen und vorbei an glitzernden Jeansjacken und Hosen von Ed Hardy, die die Russinnen so gerne hier kauften.
Gerade fragte sich Toni, ob die Verkäuferin sie wohl bis ins Lager führen wollte, da bogen sie um die Ecke und standen in einem Traum von Spitze, Rüschen, Samt und Taft. Es war Toni, als habe sie eine Zeitschleuse durchlaufen und sei in einem leicht modernisierten Ankleidezimmer des 19. Jahrhunderts gelandet. Mit vielem, was hier hing, hätte sich die Haubenfrau anfreunden können. Toni sah ihre Heldinnen aus den »Gartenlaube«-Romanen förmlich vor sich - Antje natürlich, aber auch Lucie, Lotte und deren Schwester Tone, Ulrike, Liane, Felicitas und nicht zu vergessen Hortense, die verwöhnte, hochnäsige
Hortense von Löwen, deren Herz nach einer Entlobung gebrochen war, wie Toni gerade erst vor wenigen Tagen fasziniert gelesen hatte.
»Hortense stand in einem smaragdgrünen Spitzenkleide vor dem großen Spiegel, auf einem Tischchen neben ihr lagen mehrere Kartons mit Blumen und Federn; sie hatte eben einen Schmetterling aus Goldfiligran mit bunten Steinchen besetzt ins Haar gesteckt; nun nestelte sie ihn ärgerlich ab und warf ihn auf den Tisch. ›Es ist heute so ein Tag, wo nichts geraten will‹, murmelte sie.«
Hier hingen solche Hortense-Kleider, Hortense-Blusen, Hortense-Röcke: nostalgisch und doch zeitgemäß geschnitten. Ein Bustierkleid aus Seidentaft von Paul Smith, eine weiße Bluse mit Puffärmeln von JOOP, ein Wollrock mit Trägern von Y’s, ein Kurzmantel von Betty Barclay, ein Samtkleid von Antonio Marras, ein Kragen von Prada, ein sehr elegantes Abendkleid von Sisi Wasabi, ein Bouclérock mit Schmuckknöpfen von Chanel, die transparente Spitzenbluse
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