Der Liebespakt
er zur Ruhe.
Wie immer, waren einige Schüler anwesend. Man kannte sich schon, nickte sich stumm zu. Die Jungs machten blau, sie waren
vermutlich jeden Tag hier. Sie hingen in der Spielothek herum, bis nachmittags die Schule aus war und die Mädchen dazukamen. Dann zogen sie gemeinsam durch den Wedding. Georg errichtete einen Turm von Zwei-Euro-Münzen auf der Ablage, und der erste Jugendliche trat vor. Sein Gegner. Vermutlich arabischer Abstammung, ein Libanese? Man einigte sich schnell auf die Seitenwahl, einer der Jungs warf das Geld in den Schlitz, die Düsen gingen an, der Puck lag in der Mitte, jeder hatte jetzt seinen Schieber in der Hand, das Spiel ging los.
Sieben Punkte. Sieben verdammte Punkte. Der Puck schoss mit hoher Geschwindigkeit über das Spielfeld, Airhockey war ein unglaublich schnelles Spiel, das hohe Konzentration erforderte. Der Junge war gut, aber Georg hielt mit. Nach dem 2: 3-Stand zog Georg seine teure Kapuzenjacke aus und spielte in seinem blaugrauen T-Shirt, einer Seiden-Baumwoll-Mischung, und seiner Marken-Jeans weiter. Es tat gut, hier zu sein. Es tat gut, keinen Anzug zu tragen. Es tat gut, nicht reden zu müssen.
Toni. Er semmelte den Puck in extrem hohem Tempo in das Tor seines Gegners. Die Jungs murmelten anerkennend. Georg wusste, sein Auftritt galt hier etwas. Er war zwanzig Jahre älter als die schlaksigen Kerle, aber er war ein wirklich guter Spieler. Nie hatte einer der Schüler ihn gefragt, wer er war, was er beruflich machte. Dabei hatte er erkannt, dass einige dieser Kerle wirklich clever waren, sie verdaddelten bloß ihre Zeit hier im Spielsalon, anstatt irgendetwas zu lernen. Er hätte mit ihnen reden können, hätte ihnen eine Perspektive zeigen können, dem ein oder anderen vielleicht sogar einen Job als Bürobote vermitteln können. Aber er war nicht als Sozialarbeiter hier. Solange die Jungs nicht einmal den Mund aufkriegten und sich an ihn wandten, würde er nichts tun. Die wollten spielen, er wollte spielen. Alles andere war unwichtig.
Es stand jetzt 6: 6. Der junge Libanese hatte seine Baseballjacke
ausgezogen, er stand nun im ärmellosen Shirt auf der anderen Seite. Ein zäher, schmaler Typ, kein Fett, nur asketische Muskelmasse. Man sah, er wollte das Ding gewinnen. Er war ehrgeizig, fast wütend. Georg wollte auch gewinnen - und er wollte einen klaren Kopf. Sollte er sich für die letzten Wochen noch mal auf Toni einlassen? Sie um Verzeihung bitten, behaupten, er habe die Affäre mit Karoline beendet, weil ihm die Ehe zu viel wert sei? Was für eine Schmierenkomödie. Er liebte Toni nicht mehr, das war doch sein gutes Recht. Niemand glaubte heute noch ernsthaft daran, dass aus einer Heirat lebenslange Verpflichtungen erwuchsen. Warum machte sie ihm so die Hölle heiß? Sie hatten noch nicht mal Kinder. Auch wenn Toni jetzt mit einem angeblich schwangeren Bauch hausieren ging. Verdammt, wie konnte sie so weit gehen? Der Puck krachte ins gegnerische Tor. 7:6, er hatte die erste Partie gewonnen.
Der junge Libanese zog sich zurück, ein anderer trat vor - ein kräftiger, fast dicklicher Kerl, aschblondes Haar, schwere Kette um den Hals. Die beiden Jungs klatschten sich ab, nun trat der Dicke hinter sein Tor, nahm den Schieber in die Hand. Wieder wurde Geld in den Schlitz geworfen. Es ging sofort los, der Dicke schoss mit einer Wahnsinnskraft den Puck in Georgs Tor, stieß dann einen kurzen, heftigen Jubelschrei aus. Wo kam er her? Ex-Jugoslawien, schätzte Georg. Serbe? Kroate? Das war keine normale Schülerclique, die sich hier morgens traf; der Haufen erinnerte eher an eine Gruppe gelangweilter Söldner.
Georg und der Dicke arbeiteten sich an der Platte ab. Beide mussten sich weit in die jeweilige Ecke lehnen, es ging wahnsinnig schnell, Georgs Gegenüber begann jetzt kräftig zu schwitzen, aber sein Schwung ließ nicht nach. Wieder krachte der Puck in Georgs Tor. Es hatte keinen Sinn zu versuchen, irgendwie Tonis Gefühle in den Griff zu bekommen. Die Gefühlstoni war unberechenbar. Aber es gab noch die andere Toni - die ehrgeizige
Innenarchitektin, die unbedingt irgendwann ihr eigenes Büro gründen wollte. Georg hatte Toni oft im Job erlebt und verleugnete nicht, wie viel er von ihr profitiert hatte. Sie hatte ihm ein perfektes Image verpasst: Wohnung, Kleidung, Haarschnitt, Auftreten - alles stimmte inzwischen bei ihm. Sie hatte ihn gelehrt, Äußerlichkeiten wichtig zu nehmen. Georg hatte nun seine Strategie geändert, er versuchte nicht mehr - wie beim
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