Der Liebespakt
sie. »Ich mache mir Sorgen.«
Verwirrt setzte sich Toni auf das Fahrrad, verwirrt kam sie beim »Brasilian-Waxing«-Studio an, doch kaum hatte sie den Laden betreten, ließ das ungute Gefühl von vorhin nach und sie entspannte sich. Wann immer es Anselm und seine Arbeitsplanung zugelassen hatten, war der erste Dienstag im Monat ihr Wellness-Tag gewesen, mit Waxing und Kosmetikerin oder Friseur. Denn Toni wusste, dienstags arbeitete ihre liebste Brasilianerin. Keine entfernte die lästigen Haare so sanft wie sie. Allerdings gab es keine Termine in dem Laden, er funktionierte nach dem »Walk-in«-Prinzip, wer kam, der kam. Man konnte nur hoffen, dass er nicht zu voll war. An so einem schönen ersten Frühlingstag war allerdings mit Hoffen nicht viel gewonnen. Alle Frauen wollten dann schöne Beine und eine lupenreine Bikinizone und zunehmend viele Männer eine glatte Brust und einen haarlosen Rücken. Am besten steckte man sich seinen iPod und ein gutes Buch in die Tasche. Oder man spekulierte auf die kostenlosen ausliegenden Klatschzeitungen.
Es war brechend voll, aber es half nichts. Der Termin war heilig, er konnte nicht verschoben werden. Außerdem fühlte Toni schon Stacheln, wenn sie über ihr Bein fuhr. Also meldete sie sich am Empfangscounter an, nannte den Namen ihrer Kosmetikerin und suchte sich den letzten freien Platz auf den giftgrünen Wartebänken. Die Stimmung war hier immer ähnlich verdruckst wie in der Fertilisationspraxis. Offenbar war es genauso beschämend, einen menschlichen Haarwuchs an Armen und Beinen zu besitzen, wie unfruchtbar zu sein. Toni griff sich, ohne sich weiter umzuschauen, eine Zeitschrift vom Tischchen nebenan und schlug sie auf. Mist. Sie hatte »Vital. Das Gesundheitsmagazin« erwischt. Der erste Artikel behandelte
alles über Arthrose. Tonis Gelenke waren eigentlich noch ganz in Ordnung.
Tonis Handy machte ein leises SMS-Zeichen. Sie holte es aus der Tasche und schaute verwundert drauf. Eine Nachricht von Nola, der Sekretärin aus Tonis früherem Büro. Seltsam. Warum meldete die sich? Toni öffnete die SMS: »Er ist hinter dir her.«
»Dudududu«, machte eine Stimme. So ein Baby-Dududu. Es war eine Männerstimme. Liebe Güte, welcher Mann brachte denn sein Baby mit zum Enthaaren? Das erzeugte doch nur ein frühkindliches Trauma.
»Dodododo«, nervte die Stimme weiter. Toni überlegte kurz, hochzuschauen, aber eigentlich hatte sie keine Lust, diesen durchgeknallten Vater zu sehen. Vermutlich war es seine erste Woche der sechswöchigen Elternzeit. Nicht ohne mein Baby, lautete bestimmt sein Motto.
»Dadadada«, nölte es weiter. Da endlich löste sich Tonis Blick vom Arthrose-Magazin und schwenkte nach oben. Zu ihrem Erstaunen schauten alle sie an.
»Seht her, die werdende Mama beehrt uns mit ihrer Aufmerksamkeit. Was hat dich denn so beim Lesen gefesselt? Liest du schon ›Baby&Co‹, ›Rassel und Schnuller‹ oder die Sonderausgabe: ›Fett wie eine Sumpfkuh - wie werde ich bloß die Babypfunde los?‹«
Anselm. Die Stimme war unverkennbar. Die Unverschämtheiten auch. Doch noch hatte Toni ihren Exchef nicht unter den Wartenden erkannt. Da gingen die Köpfe zweier Blondinen auseinander, und hinter ihnen, in der zweiten Wartebankreihe, tauchte der grinsende Anselm auf. Unglaublich - er sah wie immer frisch, freundlich und sportlich aus. Völlig harmlos. Bis er den Mund aufmachte.
»Das war es dann wohl mit deiner Karriere, Toni. Als du bei mir gekündigt hast, hatte ich ein wenig Angst, du würdest deine
eigene Firma aufmachen. Aber dazu fehlt dir der Schneid. Du bist eben nur ein Hausmütterchen. Und jetzt hat dein Mann dich noch bestäubt. Braver Kerl.«
»Sie sind schwanger«, flüsterte die Frau neben ihr, »herzlichen Glückwunsch.« Toni winkte ungeduldig ab. Sie fixierte Anselm, den Mann, der sie über Jahre wie sein Eigentum behandelt hatte. Nun tauchte er ausgerechnet hier auf. An diesem äußerst privaten Ort. Anselm hatte schon immer Grenzen überschritten. Irgendjemand musste ihm mal Einhalt gebieten.
»Freu dich nicht zu früh, Anselm. Dich und deine aufgeblasene Firma steck ich bald locker in die Tasche«, zischte sie. Wie konnte er es wagen, so zu tun, als sei sie ein Niemand. Ein verglühtes Talent, mehr nicht.
»Oh, hört, hört. Lassen dich die Hormone überschnappen? Wer bist du? Nichts, eine Ehefrau, nada. Dein Hotel wird bald vergessen sein, genau wie dein überflüssiger Couchtisch. Eine Saison erinnert man sich noch an deinen Namen,
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