Der Liebespakt
Ramona Rottenbacher vor ihnen - völlig unbeeindruckt vom Desinteresse ihres Publikums - einen Wirsing hochhielt. Margot hielt das Äxtchen weiterhin in der
Hand, aber so tief, dass es unter dem Küchencounter blieb. Die Schüler konnten das Gerät selbst aus den oberen Rängen nicht sehen. Jetzt schaute Margot hoch und sah sich genau die einzelnen Reihen der Schüler an. Die waren inzwischen total vertieft in ihr eigenes Tun, keiner schaute mehr nach vorne. Es war, als sei eine unsichtbare Wand zwischen der Vorführküche und den Zuschauerbänken hochgefahren.
»So geht es nicht weiter«, raunte Margot.
»Leg jetzt endlich diese Axt weg«, brummte Toni sie an. »Oder willst du mit dem Ding auf die Schüler losgehen?«
Margot ging überhaupt nicht auf Tonis Einwurf ein. »Zieh einen deiner Pumps aus«, sagte sie zu Toni, ohne sie anzuschauen. Stattdessen fixierte sie die Schüler.
»Was?«, fragte Toni irritiert.
»Zieh einen der Pumps aus. Links oder rechts - ist mir egal«, insistierte Margot.
»Das sind teure Schuhe. Von Christian Louboutin. Die haben …«, wollte Toni sagen, aber Margot unterbrach sie ungeduldig.
»Jetzt zieh endlich einen deiner verdammten Schuhe aus. Ich halte diesen Scheiß hier nicht mehr aus.«
Seufzend entschied Toni sich für links. Einbeinig konnte sie rechts besser das Gleichgewicht halten. Margot schnappte sich den Schuh sofort. Dann wandte sie sich in sanftem Ton an Ramona Rottenbacher. »Entschuldigen Sie, ich unterbreche Sie an dieser Stelle kurz. Wollen Sie wirklich stur weitermachen? Schauen Sie sich doch mal die Schüler an. Die haben noch nicht mal gemerkt, dass Sie nicht mehr zu Ihnen reden.«
Irritiert schaute Ramona Rottenbacher erst Margot, dann die Schüler an. Tatsächlich, niemand dort draußen nahm davon Notiz, dass sie ihren Vortrag über den Vitamingehalt von Wirsing abgebrochen hatte.
»So wird das nichts«, sagte Margot und zeigte ihr die kleine Axt. »Darf ich?«
Ramona Rottenbacher wurde sehr blass, traute sich kaum, sich zu bewegen. Margot krempelte ihre Ärmel hoch, damit die Hieronymus-Bosch-Tätowierungen besonders gut zu sehen waren. Dann hob sie Axt und Schuhe hoch, damit beides von der ersten bis zur letzten Reihe gut zu sehen war.
»Hallo, meine Damen und Herren. Hey, du auch da drüben, Miss Wackelpo. Zieht mal die Stöpsel aus euren Ohren und legt die Handys weg.« So langsam kam Bewegung in die Bänke, Handys wurden zur Seite gelegt, Haarfrisuren flott zum Abschluss gebracht. Was sich da vorne gerade abspielte, sah vielversprechend aus.
»Hey, das ist doch so ein Schuh wie aus ›Sex and the City‹«, rief ein Mädchen aufgeregt.
»Hä?«, ein anderes.
»Na, die rote Sohle. Siehst du das nicht. Die sind krass teuer«, belehrte das Mädchen.
»Christian Louboutin«, warf Toni ein. »So heißt der Designer.«
»Geil«, sagte ein anderes Mädchen.
»Uiui«, machte der gegelte Junge.
»Was wird’n das mit der Axt?«, rief eine von ganz hinten, die aussah, als ob sie einem im Tiergarten sofort das Portemonnaie entreißen würde.
»Das wüsste ich auch gerne«, murmelte Toni. Ramona Rottenbacher schaute sie angsterfüllt an, während Margot mit ihrem Unterarm den Kohl- und Gemüseberg zur Seite schob.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, hob Margot Tonis linken Schuh ein letztes Mal hoch und legte ihn dann auf die Arbeitsplatte. Dann hob sie den rechten Arm. In der rechten Hand hielt sie die kleine Axt. Sofort schossen die ersten Handys hoch, um mitzufilmen, was jetzt kam.
»Du wirst doch nicht …«, rief Toni von hinten, aber es war schon zu spät. Die Axt flog nach unten, traf den Schuh genau an der Stelle, wo Absatz und Schuhsohle zusammenkommen. Es gab ein krachendes Geräusch. Toni jaulte auf. Dann hielt Margot stolz den Absatz in die Höhe. Anerkennendes Geraune im Publikum. »Krass«, hörte man von links.
»Stellt euch vor, meine Freundin Toni hat ein Spitzendate, aber ihr bricht auf dem Weg dahin der Absatz ab. Normalerweise ein Riesenproblem. Aber nicht für Toni, die den Haushaltsführerschein hat. Dann weiß man nämlich genau, wie die Situation zu retten ist. Frau Rottenbacher erklärt uns jetzt mal, wie man ganz flott so einen tollen Schuh wieder heil kriegt.«
Ramona Rottenbacher mochte auf den ersten Blick etwas naiv und provinziell wirken, hatte aber ein erstklassiges Reaktionsvermögen. Noch nie hatten Schüler bei einem Kurs zum Haushaltsführerschein sie so atemlos und gespannt angeschaut wie jetzt. Sie staunte
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