Der Liebespakt
- und lernte schnell. Plötzlich wusste sie, was es hieß, ein Publikum im Griff zu haben. Sie genoss das Gefühl. Und sie würde die Schüler nicht so schnell wieder entkommen lassen. Flott hob sie eine Kiste mit Werkzeug und Hilfsmitteln auf den Küchentresen und holte Sekundenkleber hervor. Toni war kurz vor dem Herzstillstand. Sie liebte diese verdammten Schuhe, sie lief hervorragend auf ihnen, obwohl sie so wahnsinnig hoch waren. Und jetzt das! Ihr 14-cm-Louboutin-Absatz würde mit Sekundenkleber angepappt werden. Wenn der Meister aus Paris das wüsste.
Inzwischen waren alle Schüler aus ihren Bänken hervorgekrochen und hatten sich um den Küchencounter versammelt, um besser sehen zu können. Nur der Junge, der immer aus dem Fenster schaute, war sitzen geblieben, aber das kümmerte keinen weiter. Er schien der Nerd der Klasse zu sein, egal. Mit geschickten Fingern verteilte Ramona Rottenbacher den starken
Kleber, nahm einen kleinen Spachtel zu Hilfe und fixierte Schuh und Absatz dann mit einem langen, festen Druck. Sie erklärte den Spezialkleber, der besonders effektiv war. Die Schüler hörten tatsächlich zu, stellten sogar Fragen. In der Zwischenzeit hatte Margot sich schon etwas Neues gegriffen.
»Habt ihr schon mal Mikrowellenreis in der Mikrowelle explodieren sehen?«, fragte sie die Schüler, die daraufhin in Jubel ausbrachen.
Eine Stunde später waren alle Schüler in Aktion. Eine Gruppe kochte zum ersten Mal in ihrem Leben richtigen Reis, die andere machte ein leckeres Gemüsecurry dazu. Die dritte Gruppe lernte von Frau Rottenbacher, wie man effektiv und schnell Schweinereien wie eine total versaute Mikrowelle sauber macht. Toni, die wieder ihren zweiten Schuh trug (der Absatz saß bombenfest), half den Reismädchen, Margot war die Heldin der Curry-Gang. Ramona Rottenbacher holte immer neue Putzsachen aus ihrer Kiste, die alle knallfarben waren, Namen wie »Bang« und »Peng« trugen und wirklich radikal schnell säuberten. Die Zeit verflog, am Schluss aß man gemeinsam und räumte dann die Spülmaschine ein, was für einige Anwesende offensichtlich eine vollkommen neue Erfahrung war. In den letzten Minuten baten einige Schülerinnen tatsächlich darum, ob Ramona Rottenbacher ihnen beim nächsten Mal zeigen könnte, wie man einen einfachen Riss in den Klamotten näht. »Es ist einfach scheiße, wenn man den Kram gleich wieder wegwerfen muss. Nur wegen einer beknackten Prügelei«, sagte die eine. Ramona Rottenbacher lächelte gefasst und versprach zu helfen.
»Wir kriegen das hin mit der Gala. Vielleicht können wir sogar diese Schülerinnen einspannen«, sagte Toni zum Abschied vor dem abgeschlossenen Raum 136, und Margot stand daneben und nickte kräftig. »Das wird geil«, sagte sie. Ramona Rottenbacher bedankte sich herzlich bei den beiden. So viel
Aufmerksamkeit hatte sie von Schülern in all den Jahren nicht bekommen. Und sie hatte es auch noch nie geschafft, Neuntklässlern das Kochen von Reis beizubringen. Zum ersten Mal fühlte sie sich nicht mehr völlig fremd in Berlin.
Am selben Abend bekam Georg in einer Londoner Leihlimousine, die natürlich von einem Chauffeur gefahren wurde, einen Anruf von der Chefin des Deutschen Hausfrauenbundes. Ihre Berliner Landesvorsitzende habe sie angerufen, genauso wie Landesvorsitzende aus den anderen Bundesländern. Überall sei die Nachfrage nach Kursen für den Haushaltsführerschein sprunghaft angestiegen, in ganz Deutschland.
»Ich will mich bei Ihnen bedanken. Weil Sie uns Ihre Frau vermittelt haben«, sagte die Chefin.
»Was hat die denn damit zu tun?«, fragte Georg verdutzt.
»Haben Sie noch nicht auf YouTube geklickt? Wie Ihre Frau und deren Freundin den Pumps zerhacken? Das Filmchen ist der Renner. Das trifft genau den Geschmack der jungen Leute. So viel Erfolg hatten wir noch nie.«
Nachdem er aufgelegt hatte, schaute Georg nachdenklich aus dem Auto. Ärgerte er sich? Er hatte Toni mit dem Deutschen Hausfrauenbund provozieren wollen - was für ein peinliches Ehrenamt für eine moderne, berufstätige Frau. Dieser Schachzug war nur gerecht gewesen. Toni hatte ohne Vorwarnung ihren Job gekündigt und lebte seit vielen Wochen ausschließlich von seinem Geld. Außerdem hatte sie mit dem ganzen Gartenlaube-Getue angefangen und schwadronierte ohne Unterlass über den Wert der Ehe. Georg hatte ihr mit dem Hausfrauenbund zeigen wollen, was es wirklich bedeutete, eine Nur-Hausfrau zu sein. Willkommen im 19. Jahrhundert! Und was machte Toni?
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