Der Liebespakt
trug an beiden Ohrläppchen große, quadratische Diamantenfakes. Dazu sehr eigenwillige Kleidung.
»Und was ist mit dem?«, fragte Toni.
Das Mädchen zeigte nach hinten auf ihren Mitschüler. »Der ist eine von uns«, sagte sie nur. Die anderen kicherten.
Zehn Minuten später hatten sich alle Schüler eingefunden - Toni zählte neunzehn Mädchen und zwei Jungs. Die Klassenlehrerin tauchte nicht auf. Die nutzte die fremdunterrichtete Stunde offensichtlich für eine Kaffeepause oder eine Zigarette am Rand des Pausenhofs. Keiner der Schüler wunderte sich darüber. Alle klemmten sich hinter ihre Bänke, die wie in einem Hörsaal oder einem Kino reihenweise anstiegen. Perfekter Blick von jedem Platz.
»Willkommen zur ersten Stunde des Haushaltsführerscheins. Mein Name ist Ramona Rottenbacher. Wir werden jetzt an drei
verschiedenen Tagen jeweils eine Doppelstunde zusammensitzen, und ich werde euch alles beibringen, was ihr für Haushalt und Alltag braucht. Ihr bekommt bei mir Tipps für das Putzen, lernt die schnelle Absatzreparatur in Notfällen oder wie man mit Geld haushaltet. Ich dachte mir, heute fangen wir mit dem Essen an. Wir alle müssen essen, nicht wahr?« Ramona Rottenbacher warb um Zuspruch, bekam aber keine Reaktion von den Schülern. »Dies«, sie hielt jetzt eine bunte Tafel in die Höhe, »ist eine Nährstofftabelle.« Sie begann nun die einzelnen Nahrungsmittel zu erläutern. Aber die Schüler beschäftigten sich längst mit etwas anderem.
Ramona Rottenbacher hatte genau zwei, drei Sätze lang die Chance gehabt, bei den Schülern zu punkten. Sie hatte sie nicht genutzt. Das Urteil der Schüler war erbarmungslos: langweilig. Total langweilig. Abschalten, die Alte. In der ersten Reihe stöpselten sich zwei Mädchen ihre Kopfhörer ins Ohr, die an einem gemeinsamen MP3-Player hingen. Andere, mindestens fünf oder sechs, schrieben SMS. Mehrere Schülerinnen unterhielten sich miteinander, ohne ihre Stimmen zu dämpfen. Weiter hinten, in der vorletzten Reihe, frisierte man sich gegenseitig. Ein Mädchen schminkte sich und reichte den Kajal an ihren männlichen Mitschüler mit den Ohrringen weiter. Der andere Junge schaute aus dem Fenster und schien gar nicht im Raum zu sein. Trotzdem, die Landesvorsitzende ließ sich nichts anmerken. Sie machte stur weiter, zog ihr Programm durch. »Ich hoffe auf die Einsicht der Schüler«, hatte sie anfangs gesagt. Mit der Methode konnte sie lange hoffen.
Toni und Margot standen etwas verloren an der Seite herum und beobachteten mit steigendem Unwillen die Szene. Man mochte von dem Hausfrauenbund halten, was man wollte, aber eine deutlich ältere, erwachsene Frau wie Ramona Rottenbacher, die auch noch ein offizielles Amt bekleidete, so auflaufen
zu lassen, war wirklich frech. Andererseits - so wie sie das Ganze vortrug, lockte es wirklich keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Toni dachte an ihre eigene Schulzeit. Sie hatte immer schon diese blöde Nahrungspyramide gehasst - ganz unten ein Fundament aus Brot, Getreide und Müsli und oben an der Spitze der Star: leckere Zuckersachen, Schokolade, Kuchen. Diese Pyramide war wirklich das absolute Anti-Verkaufsargument, wenn man Heranwachsenden klarmachen wollte, dass Zuckerzeug schlecht für die Gesundheit ist. In Wahrheit begehrten doch alle die Dinge an der Spitze und nicht das gesunde Zeug, das ganz unten, kurz vor dem Keller, herumlag. Man musste die Nahrungspyramide wie ein Haus lesen: niemand zieht in die dunkle, einbruchgefährdete Parterrewohnung ein, wenn ganz oben ein Penthouse lockt.
Auch in Margot rumorte es, Toni konnte das spüren. Für sie als waschechte Berlinerin war es undenkbar, dass man sich von Minderjährigen dermaßen vorführen ließ. Hatte diese Ramona Rottenbacher denn keinen Stolz? Hier war eine Ansage fällig. Diese Halbstarken, die in ihren Bänken lümmelten, benahmen sich wie die Könige der Welt. Wenn sie Ramona Rottenbacher wäre, dann … um sich ein wenig abzulenken, zog Margot leise die Schubladen der Showküche auf. Was hier alles herumlag. Scheren zum Tranchieren, Hämmer, um Schnitzel zu klopfen, scharfe japanische Messer. »Damit kannst du ja einen Massen-Amoklauf ausstatten«, flüsterte Margot. Toni schaute ihr über die Schulter und nickte. Wow, alles neue, teure Küchenware. Margot holte ein Gerät, das einer kleinen Axt ähnelte, heraus. »So etwas benutzen die Schlachter, wenn sie die Hähnchenkeulen abtrennen«, sagte Toni leise. Sie betrachteten beide das Gerät, während
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